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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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umbringen oder Geiseln nehmen – das muss man nicht unbedingt glorifizieren. Man muss auch keine Fotobände darüber herausgeben. Das ist meines Erachtens aber nur bedingt richtig. Eine Gesellschaft sollte unbedingt auch mit ihren Subkulturen leben und sie nicht einfach totschweigen. Die Gesellschaft hat diese Menschen hervorgebracht, also muss sie sich auch mit ihnen auseinandersetzen.
    Wobei ich glaube, dass es weniger die moralische Pflicht ist, die die Filmindustrie sich mit den Gangstern befassen lässt, als die Coolness des Genres. Allerdings sind die Filmgangster meistens cooler als in der Realität.
    In den 70er Jahren stellte man eine starke Veränderung in den Verhaltensweisen der Italo-Amerikanischen Mafiosi fest. Man führte ihr neues Gebaren auf das Vorbild des Filmganoven aus dem Francis Ford Coppola-Film Der Pate zurück, in dem Marlon Brando den Obermufti spielte. Damit hatte er die echten Mafia-Größen offensichtlich schwer beeindruckt.
    Die Mafiosi als Zielgruppe allein erklären den weltweiten Erfolg von Gangsterfilmen allerdings nicht. Was hat ihn global so erfolgreich gemacht, dass er alle Generationen überlebt hat und immer wieder neu erfunden wird?
    Ich habe mich mal gefragt, warum nur so ein extrem geringer Prozentsatz der Bevölkerung zum Bankräuber wird? Sind es wirklich nur moralische Skrupel, die die Masse abhalten, oder ist es nicht in vielen Fällen die blanke Angst, der fehlende Schneid? Ich möchte nicht wissen, wie hoch der Prozentsatz derjenigen ist, die folgenden Deal eingehen würden: Sie wachen morgens auf, haben einen Bankraub begangen, bei dem alles glatt gelaufen ist. Es ist sichergestellt, dass sie nicht weiter verfolgt werden. Und vor ihnen steht der Koffer voller Geld. Sie brauchen dem Geschäft nur noch zuzustimmen.
    Es macht wohl einen wesentlichen Reiz dieses Genres aus, dass wir die Gangster insgeheim um ihre Kaltblütigkeit und ihre Entschlossenheit beneiden. Vermutlich steckt auch der unterdrückte Wunsch nach einem abenteuerlichen Leben frei von gesellschaftlichen Konventionen dahinter.
    Aber über all das hatten wir gar nicht nachgedacht. Wir wollten keinen sozialkritischen Film machen. Unser erstes Gebot war: Du darfst nicht langweilen. Bloß keine Botschaft. Wie Billy Wilder schon sagte: »Wer Messages zu versenden hat, sollte zur Post gehen, nicht zum Film.«
    Als Niki und ich den Film dann im Schneideraum das erste Mal am Stück gesehen haben, blickten wir einander an und sagten: »Mist, jetzt haben wir doch einen sozialkritischen Film gemacht.« Eigentlich hatten wir nur eine spannende Geschichte erzählen wollen. Aber wer Spannung aufbauen möchte, muss glaubwürdige Charaktere schaffen und ihre Handlungen motivieren. Indem wir erzählt haben, was diese Bankräuber für Menschen sind, wo sie herkommen, wo sie hinwollen, was für Chancen sie im Leben haben und wie sie jetzt ihr Dasein fristen, wurden wir zwangsläufig zu Gesellschaftskritikern.
    Doch zurück zu unserem Problem: Wie sollten unsere Bankräuber aussehen? Obwohl wir keinen Dokumentarfilm drehen wollten, sollte es einigermaßen realistisch zugehen.
    Sind deutsche Gangster diese Vokuhilas, diese Schiffschaukel-Bremser-Typen? Unheimlich primitiv, aber sehr physisch, mit Adern an den aufgepumpten Muskelarmen, voller uralter, blassgrüner Tattoos und einer permanenten Gewaltbereitschaft im Gesicht?
    Wir hatten zunächst einen Typ Mensch vor Augen, der so aussah wie die Geiselnehmer von Gladbeck, Zähne ein bisschen faulig, fettige Haare, abgestumpft, prollig. Aber das allein wäre nicht interessant genug für einen Film. Das Schicksal eines Gladbecker Geiselnehmers mit Frontkaries und simplem Wortschatz würde den Zuschauer nicht über 100 Minuten an die Leinwand fesseln. Um eine solche Figur würde er vermutlich nicht weinen, geschweige denn sie am Ende ins Herz schließen. Deshalb mussten wir unsere Figuren, vor allem unsere Hauptrolle Harms irgendwie aufwerten, sie etwas überhöhen, eben cineastisch darstellen. Die Kunst besteht dann darin, ihm neben seiner brachialen Physis auch ein paar feine Charakterzüge und ein wenig Tiefgang zu geben, ohne ihn darüber völlig unrealistisch zu überzeichnen. Er musste trotzdem ein normaler Mensch bleiben mit all seinen Fehlern und Ängsten.
    IM AUTHENTIZITÄTSWAHN
    Es gibt ja Filmemacher, die nur mit Laien drehen. Ich finde das grauenhaft. Man sollte eigentlich meinen, mit Laien wirke ein Film umso natürlicher. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Es

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