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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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sind aber auch Tausende von schlechten Schauspielern daraus hervorgegangen. Ich kenne sie zwar nicht alle persönlich, behaupte das jetzt aber einfach mal.
    Sagen wir so: Grundsätzlich führen viele Wege nach Rom. Für mich zählt, ob jemand ein guter Schauspieler ist. Wie er dahin gekommen ist, interessiert mich gar nicht.
    Ich persönlich finde das grauenhaft, dieses »man muss überall blaue Flecken haben beim Spielen«. »Proben müssen wehtun.« Diese alternativen Schauspieler gehen mir schnell auf den Wecker. Ich finde, es dient dann auch nicht zwingend der Sache, wenn alle barfuß herumlaufen und »Komm, jetzt spielen wir mal Wiese« oder dergleichen rufen.
    Wenn mir ein Kollege mit diesen Methoden kommt, mache ich immer mehr zu, bis irgendwann gar nichts mehr geht. Dann sage ich: »Lass es uns jetzt einfach machen, ok? Ich habe keine Lust mehr zu diskutieren.«
    Noch viel stärker wandeln sich die Moden, wie Filme gemacht werden. Also die Technik und Inszenierungspraxis, der »Look« des Films, wie man heute sagt. Zum Beispiel ist inzwischen jeder mittelmäßige Film total farbentsättigt. Die vermeintlich künstlerisch wertvollen Filme haben es vorgemacht, jetzt machen es alle nach. Was auch heißt: Alles sieht gleich aus. Aus jeder geöffneten Schublade schimmert es bläulich heraus. Völlig manierierter Schrott, wenn man mich fragt. Die Schnitte sind rasend schnell, permanent steht einer unscharf im Anschnitt, sodass immer eine Schulter oder ein Hinterkopf im Vordergrund ist. Oder es wird durch die Beete hindurch gefilmt. Früher hätte der Regieassistent gebrüllt: »Nimm doch mal einer das Gestrüpp aus dem Bild, verdammte Scheiße!« Heute ist das Kunst. Und natürlich muss die Kamera wackeln. Und ganz nah dran sein. Mittendrin sein. Sonst ist es nicht innovativ. Ich kann es nicht mehr sehen.
    Ähnlich geht es mir mit diesen schnellen Kameraschwenks und Zooms – »wusch« – auf irgendwas, völlig egal was. Zuerst nutzten bessere Filmemacher diese Techniken, da hatten die Zooms auch etwas zu erzählen. Überträgt man diese Techniken aber auf unsere Vorabendserien, verkommen sie zur albernen Pose. Dann wird auf irgendwelche Diddl-Kaffeetassen der Kommissare gezoomt, was dramaturgisch völlig sinnfrei ist.
    Man sagt, dass ein Kunstfälscher auch unfreiwillig den Blick kopiert, mit dem seine Zeitgenossen auf die Bilder einer bestimmten Epoche schauen. Also wer heute ein Bild aus dem 18. Jahrhundert fälscht, macht das so, wie wir uns im Jahr 2013 die Kunst im 18. Jahrhundert vorstellen. In zwanzig Jahren wird man den Fälscher ganz leicht entlarven. Weil es den Menschen einer Epoche immer schwerfällt, sich selbst zu beobachten und zu beurteilen. So erkennt man heute die Eigentümlichkeit der Film- und Schauspielmoden der 1920er oder 1950er Jahre überdeutlich. Niemand würde noch behaupten, dass es damals primär um eine möglichst lebensechte Darstellung ging. Zu der jeweiligen Zeit waren die Menschen, zumindest die Filmschaffenden, aber sicher überzeugt davon.
    Film ist ja immer eine Fälschung der Realität, eine Fälschung mit Gestaltungs- und manchmal auch mit etwas übertriebenem Kunstwillen.
    Ein wirklich echtes Schauspiel gibt es sowieso nicht. Wer das anstrebt, sollte besser gleich Dokumentarfilme drehen. Ein Polizist, der mit versteckter Kamera aufgenommen werden würde, sähe immer anders aus als ein Kommissar im Fernsehen.
    Es geht ja auch nicht darum, einen Bäcker möglichst realitätsgetreu wiederzugeben. Stattdessen sollte die Rolle so sein, wie sich der Zuschauer einen Bäcker vorstellt, und zwar einen Bäcker, der es in irgendeiner Form wert wäre, dargestellt zu werden. Sei es, dass er selbst irgendwie besonders ist, dass ihm etwas Besonderes widerfährt, oder er Zeuge von etwas Besonderem wird. Denn das ist es, was Fiktion ausmacht: dass es etwas zu erzählen gibt. Das hat unter Umständen mit der Realität nicht viel zu tun. Nur die Autorenfilmer der 1970er Jahre haben sich davon freigesprochen. Sie glaubten, eine Geschichte müsse nichts Besonderes haben, um Wert zu sein, verfilmt zu werden. Dementsprechend sahen dann ihre Filme aus.
    UNSER EIGENER FILM
    Im April 2012 habe ich einen Fernsehfilm unter dem Regisseur Nikolai Müllerschön gedreht. Ich kannte Niki, wie ihn jeder nennt, eigentlich schon seit den frühen 80er Jahren. Vom Hörensagen, Händeschütteln und aneinander vorbeigehen. Wir hatten nie zusammen gearbeitet. Während unserer Drehzeit im April stellten wir fest,

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