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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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hört sich nicht nur nicht natürlich an, sondern ist die schlimmste aller möglichen Kombinationen. Über- und Falschbetonungen gepaart mit grausigem Mimenspiel. Professionalität hat einen Sinn. Sie macht das Unnatürliche nicht nur erträglich, sondern zu einer eigenen Qualität. Deshalb fasziniert das Schauspiel seit Jahrhunderten die Menschen.
    Mit dem Begriff »Authentizität« habe ich daher so meine Probleme, auch im normalen Leben. Wenn mir da einer sagt: »Der Typ ist nicht authentisch«, springe ich gleich an wie ein alter Diesel und frage ihn: »Was heißt, er ist nicht authentisch?« Als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt, der noch nichts von diesem Modewort gehört hat, erklärt mir mein Gegenüber dann:
    »Das heißt, dass er nicht er selber ist.«
    »Wer ist er denn dann?«, frage ich.
    »Natürlich ist er er, aber er gibt vor, ein anderer zu sein.«
    »Aha, na und?«
    »Was heißt ›Na und?‹. Deshalb ist er nicht authentisch. Er steht nicht zu sich.«
    »Aber ist das nicht auch authentisch«, frage ich.
    »Was?«
    »Na, ich meine, der Typ steht nicht zu sich und gibt vor ein anderer zu sein. Also ist er ein Mensch, der nicht zu sich steht und vorgeben möchte, ein anderer zu sein. Und er handelt dementsprechend. Das ist doch sehr authentisch.«
    Ich gebe zu, das ist ein wenig spitzfindig. Aber wenn ein Wort so inflationär umhergeht, stellen sich bei mir die Nackenhaare hoch. (Oh doch, im Nacken habe ich noch Haare.)
    In der Schauspielerei hingegen wird gerne das für authentisch gehalten, was besonders gut gespielt ist. Den Vorwurf: »Der ist nicht authentisch« hört man dann, wenn etwas schlecht gespielt ist.
    Natürlich zu sein ist das Allerschwierigste. Einen Idioten spielen, das kann jeder. (Okay, sagen wir: fast jeder.) Es lässt sich schlecht nachprüfen. Denn es gibt solche und solche Idioten. Da kann man also keinen Fehler machen. Aber wenn ich als Regisseur einen jungen Schauspielkollegen bitte, mal einen normalen Satz zu sprechen, mit einer ganz normalen Betonung, wie etwa: »Wie spät haben wir eigentlich?«, da staune ich immer wieder, was ich da alles zu hören bekomme, sobald die Kamera läuft.
    »Wie sagst du das denn?«, frage ich dann, ehrlich erstaunt. »Du musst nicht Hochdeutsch reden, nicht irgendwie betont fragend, gar nix – einfach: Sag mal, wie spät haben wir’s eigentlich?«
    So einen Satz bewusst auszusprechen, ohne wirkliches Interesse für die tatsächliche Uhrzeit, ist offensichtlich sehr schwierig.
    Dafür muss übrigens noch nicht mal die Kamera laufen. Das Phänomen kann man schon in einem ganz normalen Gespräch beobachten. Dafür reicht es, dass der Gesprächspartner nachfragt, weil er einen Satz gerade akustisch nicht verstanden hat. Das eben Gesagte dann noch einmal genau so zu wiederholen, klingt häufig so seltsam, dass man es lieber bleiben lässt und nur noch eine Kürzestzusammenfassung liefert.
    Ich glaube, hinter der Debatte, die man derzeit überall hört – »der ist nicht authentisch« –, steckt eine viel einfachere, alte Schauspieler-Frage: wie glaubwürdig jemand ist. Ob er echt ist oder nicht, das können die Menschen beurteilen, die eines fernen Tages vielleicht unsere »wahren« Gedanken lesen können werden. Ich bin grundsätzlich misstrauisch, was Begriffe wie »wahr« und »authentisch« betrifft. Ich glaube auch nicht, dass man seine »wahre« Mitte finden kann, sein »wirkliches« Wesen. Das ist mir zu esoterisch. Auch mit Energieflüssen und Wesenskernen habe ich es nicht so. Ich finde Menschen, die zum Beispiel sagen: »Mach mal die Tür zu, die Energy geht raus!« zwar amüsant – (oder auch schön: »Wann gehen denn eure Kinder ins Bett?« »Das müssen sie selbst entscheiden.«) Aber das ist nicht meine Abteilung.
    Also, wenn jetzt überall mehr Authentizität gefordert wird, in der Literatur, im Film, in der Kunst generell, dann führt das zu einem großen Irrtum. Was wir eigentlich wollen, ist: eine größere Qualität. Ich habe daher das Gefühl, das Wort »Authentizität« ist einfach eine riesige Nullnummer. Denn es bezeichnet nie das, was wirklich gemeint ist. Ich beantrage daher die fristlose Streichung dieses Begriffs aus dem Wortschatz.
    WIR SIND ALLE SCHAUSPIELER
    Eines steht sowieso fest: Schauspieler sind wir alle mehr oder weniger. Eine Theaterbühne mag in der Regel ja streng abgegrenzt sein vom Publikum – im postdramatischen Theater sieht das noch mal anders aus, aber der klassische Fall ist doch: Oben

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