Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
vorstellen konnte, dass jemand wie ich so einfach hergeht und den Beruf Schauspieler erlernt. Wie hätte ich das meinen Eltern erklären sollen? Schauspielerei ist kein Beruf, sondern lediglich ein Hobby. Jemand wie ich wird Lehrerin. Oder Ärztin, wenn es sehr gut läuft. Oder studiert BWL oder VWL , wenn es schlecht läuft. Oder Sekretärin. Mit Schwerpunkt Fremdsprachen. Genau. Fremdsprachen lagen mir immer schon. Die Schule dauerte nur zweieinhalb Jahre, und die Berufsaussichten waren damals im New-Technology-Boom Anfang der Neunzigerjahre ziemlich gut. Meine Eltern waren nicht euphorisch, aber ein ansehnliches Anfangsgehalt in einem der größten deutschen Medienkonzerne wie der Kirch-Gruppe war zumindest ein Argument. Eine Eigentumswohnung, die ich damit anzahlen konnte, ein weiteres. Der Bayer liebt Sicherheit.
Auch als ich bereits nach einem Jahr zu einer Computerfirma wechselte und noch mehr verdiente, waren meine Eltern zufrieden. Ich war es auch. Anfänglich. Trotzdem wusste ich tief in meinem Inneren immer, irgendwann würde ich das machen können, was ich wirklich gern machen möchte: Ich würde Schauspielerin werden. Denn schließlich war ich mir sicher, dass ich eines schönen Tages von jemandem entdeckt werden würde.
Klar, so würde es sein: Ich würde in der Schlange eines Supermarktes stehen, und der Kunde vor mir würde seinen Joghurt für damals 59 Pfennig mit der Scheckkarte bezahlen, die aber nicht funktionierte, er würde daraufhin eine andere Karte zücken, um mit dieser zu bezahlen, die dann auch nicht funktionierte. Und die Kassiererin würde ungeduldig werden, und während ich ihn anschrie, ob er noch ganz sauber sei, einen Betrag von 59 Pfennig mit der Karte zu bezahlen und damit den ganzen Betrieb aufzuhalten, würde mir jemand von hinten auf die Schulter tippen, ich würde mich – noch immer hochrot und schäumend vor Wut – umdrehen, um denjenigen, der mich da angetippt hatte, anzublaffen: »Was is’n?« Und da würde er vor mir stehen: Steven Spielberg. In Jeans und Karohemd, mit seinem leicht zotteligen Bart und lichter werdendem Haupthaar, würde er mich amüsiert über den Rand seiner Nerd-Brille anblinzeln und mich in astreinem Deutsch fragen: »Könnten Sie sich vorstellen, in meinem nächsten Film die Hauptrolle zu spielen?« Und ich würde natürlich kurz zögern und ihn fragen: »Sind Sie sich sicher, Mister Spielberg, dass Sie mich haben wollen?« Und er würde immer noch lächelnd antworten: »Absolut!« Jetzt würde im Hintergrund sanfte Geigenmusik einsetzen, wir würden uns in die Arme sinken, und ich würde an der Kasse drei vom Tengelmann in Altenerding einen Vertrag über fünfzig Millionen Dollar für die Hauptrolle in Steven Spielbergs nächstem Blockbuster Indiana Jones und das Aschenputtel aus Tittenkofen unterschreiben. Ziemlich genau so hatte ich es mir immer vorgestellt.
In der Realität waren tatsächlich immer mal wieder irgendwelche Trottel vor mir an der Supermarktkasse, die irgendwelche läppischen Beträge mit einer ihrer achtzehn Kreditkarten bezahlten, und ich regte mich ziemlich oft auf und sah mich auch ständig dabei um, aber irgendwie schien Steven Spielberg nur ganz selten im Tengelmann von Altenerding einzukaufen. Gott, wenn der Mann gewusst hätte, was ihm entging. Ich spielte die komplette Shakespeare-Palette rauf und runter: von tiefster Verzweiflung über Mordgelüste bis zur Todessehnsucht. Vergeblich. Keiner sprach mich an, keiner wollte mich aus dem immer gleichen, öden Büroalltag reißen. Und ich wusste: Wenn ich meinen Hintern nicht bald hochkriegen würde, würde ich mein Leben vergeuden und wahrscheinlich irgendwann als verbitterte, grantige Alte enden, die mit sechs Katzen in ihrer vermüllten, aber abbezahlten Eigentumswohnung haust.
Da fiel mir ein, dass es in München ein kleines Theater gab, die Iberl-Bühne in Solln, die bekannt war für die kraftvolle, urige Sprache, die ihr Chef, Georg Maier, in seinen Stücken verwendete. Und wie ich gehört hatte, beschäftigte er auch immer wieder mal den einen oder anderen Laienschauspieler in seiner Truppe, da sein Theatersaal – ich war vor vielen Jahren einmal dort gewesen – nur für circa hundert Zuschauer Platz hatte und er deshalb keine sehr hohe Gage zahlen konnte. Ich würde einfach mal hinfahren und ihn fragen, ob er mich brauchen könne, schließlich war ja die Landjugend Reichenkirchen mit Maestro Hintermaier nicht die schlechteste Referenz, haha. Nein, im Ernst. Ich
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