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Man tut, was man kann (German Edition)

Man tut, was man kann (German Edition)

Titel: Man tut, was man kann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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Schnitt. Der Baum, den Kathrin eben noch geschmückt hat, hat sich in einen prachtvollen Weihnachtsbaum verwandelt, der in einem hochherrschaftlichen Haus steht. Ich befürchte, es ist die Zeit des Internetbooms, und wir sind zu obszön viel Geld gekommen, weshalb alle unsere fünf Kinder auf Privatschulen gehen und wir nur noch Klamotten von Uli Knecht tragen. Kathrin, mittlerweile apart ergraut, prostet mir mit einem Jahrgangschampagner zu, derweil ich mein Glas Single Highland Malt erhebe. Schnitt. Kathrin, inzwischen jenseits der sechzig, hat ihren für Hunderttausende von Euro gelifteten Körper auf einer Liege unter südlicher Sonne drapiert. Sie sieht keinen Tag älter als fünfundvierzig aus. Ich liege daneben, werde von einer attraktiven Seychelloise mit Single Highland Malt versorgt und frage mich, wo mein Leben geblieben ist. Das sieht man mir aber nicht an. Was man sieht, ist, dass Kathrin mich anlächelt und ich zurücklächle. Niemand könnte erraten, wer von uns die Dritten trägt.
    «Paul? Träumst du?»
    Kathrin reichte mir ein neues Glas Sekt und prostete mir aufreizend zu. Ich ahnte, die nächste Frage würde sein, was ich denn so mache, beruflich, beispielsweise.
    «Okay, Paul, was machst du so? Beruflich, meine ich.»
    Kathrin, ich habe die schlimme Befürchtung, dass wir beruflich sehr gut zueinanderpassen werden, aber das heißt noch nichts.
    «Du zuerst.»
    «Fremdsprachensekretärin. Aber leider ist es schwierig, eine Stelle zu finden, deshalb arbeite ich momentan als Sekretärin – eigentlich Assistenz der Geschäftsführung, aber tatsächlich bin ich die Sekretärin.»
    Passt. Genau, wie ich befürchtet hatte.
    «So, jetzt du.»
    «Ich arbeite in der Personalabteilung eines Zeitungsverlages.»
    «Als Sachbearbeiter, oder wie?» Kathrin ahnte, dass ich ihr was verschwiegen hatte.
    «Eigentlich leite ich die Abteilung.»
    «Oh, ’n Personalchef», sagte Kathrin mit einem Hauch von Ironie, der aber wahrscheinlich nur kaschieren sollte, dass sie sehr zufrieden war mit dem, was sie gehört hatte. Vermutlich fragte sie sich gerade, ob ich womöglich einen Porsche führe. Wäre zwar schick, aber eben auch problematisch beim Tausch gegen einen Kombi, den man ja bräuchte der Kinder und des Hundes wegen.
    «Ich fahre aber trotzdem keinen Porsche», sagte ich und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, ob ich gerade ihre Gedanken erraten hatte. Hatte ich aber wohl nicht.
    «Und bist du allein hier?»
    Ich schüttelte den Kopf. «Mit ’nem Freund.»
    «Mit einem Freund oder mit … deinem Freund?»
    Bravo, Kathrin. Schachmatt in vier Zügen. Das hat bislang noch niemand geschafft: mit nur einer Frage sowohl meinen aktuellen Familienstand als auch meine sexuelle Orientierung abzuarbeiten.
    Ich lächelte und erwog einen winzigen Moment, mich als schwul zu outen. Aber auch das macht man in meinem Alter nicht mehr.
    «Mit einem Freund. Ich stehe auf Frauen, bin nicht verheiratet und momentan auch nicht liiert.» Um das Ganze hier mal abzukürzen, dachte ich.
    Kathrin strahlte. «Ich auch, übrigens.»
    «Du stehst auf Frauen?»
    Sie lachte. «Nein, ich meine … du weißt schon, was ich meine.»
    Ja, Kathrin, ich weiß sehr genau, was du meinst. Du meinst, wir sollten jetzt mal das Eis brechen und den Abend nutzen, um ein paar banale Fragen zu klären und dabei Gemeinsamkeiten zu entdecken. Also: Fisch oder Fleisch, Rotwein oder Weißwein, Stadtmensch oder Landei, Kino oder Theater, Anzug oder Jeans. Anschließend ritueller Telefonnummerntausch.
    Ein paar Tage später eine Verabredung zum Abendessen, Abklopfen der wechselseitigen Wünsche und Träume. Möchte man eine große, eine kleine oder etwa gar keine Familie? Will man ein kleines Haus im Süden oder doch lieber einen großen Bauernhof zum Selbstrenovieren? Wo will man in zehn, zwanzig, dreißig Jahren sein? Gibt es etwas, das man unbedingt noch tun muss, bevor man alt ist? Dazu Anekdoten aus der Jugend, ein paar Familiengeschichten, geschickt eingestreute Bemerkungen über kleinere und größere Macken wie Fernsehgewohnheiten oder Erbkrankheiten. Grob sollten dabei die beiderseitige Sozialisation und das jeweilige psychologische Profil umrissen werden, all das selbstverständlich ungezwungen, humorvoll und in angenehmer Atmosphäre. Flirten ist erlaubt, sogar erwünscht, der Abend endet ohne Sex, aber mit einem Abschiedskuss, der idealerweise mehr als ein Abschiedsküsschen, aber weniger als ein leidenschaftlicher Kuss ist.
    Kurze Pause.

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