Man tut, was man kann (German Edition)
später im Wagen sitze, habe ich mich für Zettel eins entschieden, und zwar ohne Blume und Getränk.
Ich muss morgen tatsächlich früher raus als sonst, weil für den Nachmittag eine Vorstandssitzung angesetzt ist, ich am Vormittag zwei Termine habe, die damit in Zusammenhang stehen, aber trotzdem nicht darauf verzichten möchte, mit meinem Hund spazieren zu gehen. Ich befürchte, wenn ich bei Kathrin bleibe, wird sie mir einen Strich durch die Rechnung machen, und zwar mit Sex.
Eigentlich ist besagter Hund nicht mein Hund, ich nenne ihn nur so, weil wir uns inzwischen seit fast einem Jahr kennen. Ich hätte gerne einen eigenen Hund, aber ich bin zu bequem, scheue die Verantwortung und will auch nicht, dass mir irgendwer die Hand leckt.
Günther hat mich auf die Idee gebracht, mich als ehrenamtlicher Hundeausführer beim Tierheim zu melden. Man muss lediglich eine Art Wissenstest bestehen und bestätigen, dass man keine Ansprüche gegen das Tierheim erhebt, sofern man von einem der Hunde in Stücke gerissen wird, dann kann’s auch schon losgehen.
Mein Hund heißt Felix, ist aber trotzdem der traurigste Hund der Welt. Um ihn nicht mit seinem Namen zu verhöhnen, nenne ich ihn Fred. Er hört zwar nicht auf «Fred», aber das macht nichts, er hört nämlich auch nicht auf «Felix». Fred ist ein Bullterrier-Jagdhund-Mix, mittelgroß, braun, kurzhaarig, mit einer langen Schnauze und kleinen, dunklen Augen. Er sieht weder hübsch noch possierlich aus, was einer der Gründe dafür ist, warum er seit zwei Jahren nicht vermittelt wird. Der andere Grund ist, dass Fred nichts und niemanden auf der Welt ausstehen kann. Er mag keine anderen Hunde, keine Kinder, keine Katzen, und mich mag er auch nicht. Letzteres hat ihn mir vom ersten Moment an sympathisch gemacht.
Da Fred die meisten ehrenamtlichen Hundeausführer bereits gebissen oder zumindest angefallen hat, legt niemand Wert darauf, mit ihm rauszugehen. So hat es sich ergeben, dass Fred mein Hund wurde. Er wird heute bis zur Mittagspause warten müssen, denn ich möchte erst wissen, was in der nachmittäglichen Sitzung auf mich zukommt, und zwar abseits der Tagesordnung.
Im Büro empfängt mich Frau Hoffmann, wie jeden Morgen mit einer großen Tasse Tee, schwarz und stark.
«Guten Morgen, Herr Dr. Schuberth», sagt Frau Hoffmann. Sie legt allergrößten Wert auf korrekte Umgangsformen und korrekte Anreden.
«Guten Morgen, Frau Hoffmann.»
Frau Hoffmann ist fast fünfundsechzig und geht in ein paar Monaten in den Ruhestand, um sich fortan dem Erwandern deutscher Mittelgebirge zu widmen, ihrem liebsten Hobby. Sie war immer mit ihrem Beruf verheiratet, deswegen ist sie ledig und kinderlos. Mit ihrer Ausbildung zur Sekretärin begann sie 1959, jener Zeit, in der Menschen mit ihren korrekten Titeln angesprochen wurden, es ein kafkaeskes Vorzimmersystem gab und Chefs gottähnliche Respektspersonen waren. Frau Hoffmann mochte diese adrette und übersichtliche Welt, sie interessierte sich weder für die Beatles noch für den Vietnamkrieg oder die Hippiebewegung, ganz zu schweigen von allem, was danach kam. Mit Fax- und Kopiergeräten hat sich Frau Hoffmann noch gerade eben anfreunden können, und als die ersten Computer auf den Markt kamen, hat sie sich unter größten Schmerzen umgestellt, Mobiltelefone und das Internet hält sie aber bis heute für Erfindungen des Teufels und verweigert beides, weil Sekretärinnen damit vollends die Kontrolle über ihre Chefs verloren.
Da Frau Hoffmann trotz diverser Schulungen, die zusammengenommen die Dauer eines Harvardstudiums überschreiten, bis heute nicht in der Lage ist, mit dem Internet umzugehen oder E-Mails zu versenden, habe ich sie zum guten Geist des Vorstandes gemacht. Zwar ist sie offiziell meine Sekretärin, sie kümmert sich aber auch um Besorgungen für andere Vorstandsmitglieder, um Gruß- und Weihnachtskarten, um die gastronomische Vorbereitung von Meetings, den Empfang von Besuchern oder die Organisation von Weihnachtsfeiern. Kurz gesagt, um alles, was nichts mit moderner Datenkommunikation zu tun hat.
Ich vermute, sie glaubt, dass ich meine schützende Hand über sie halte, weshalb sie trotz mangelnder Fachkenntnisse und diverser Entlassungswellen ihren Job behalten hat. In dem Glauben lasse ich sie auch. Die Wahrheit ist, schon vor Jahren hätte das Unternehmen Frau Hoffmann eine Abfindung in Höhe des nigerianischen Bruttosozialproduktes zahlen müssen, weshalb es schlicht billiger war, sie bis zur Rente
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