Man tut, was man kann (German Edition)
Abteilungen, über die Umsatzentwicklung insgesamt und über vieles mehr. Während meine Tage in Görges’ Büro immer länger wurden, beendete der die Arbeit oft schon kurz nach Mittag, um sich seiner neuen Passion zu widmen, dem Fliegenfischen.
Als das Ende des Sommers bereits zu ahnen war, fühlte ich mich in der Lage, Görges’ Job zu übernehmen. Ich kannte den Laden nun annähernd so gut wie er und hatte außerdem ein paar ganz gute Ideen für die Zukunft. Der eigentliche Grund, warum ich die Eigentümer auf ihrem Sommersitz auf Mallorca besuchen würde, war aber, dass ich keine Ahnung hatte, was ich alternativ mit meinem Leben anfangen könnte.
Vielleicht war das ja mein Schicksal. Vielleicht hatten die Götter mir Iris geschickt und gleich wieder weggenommen, um mir klarzumachen, dass mir keine große Liebe, aber eine passable Karriere vergönnt wäre.
Man kann nicht alles haben.
Gerade frage ich mich, ob die Götter bereit wären, eine Karriere gegen eine Liebe zu tauschen. Wahrscheinlich nicht. Götter haben es nicht nötig, zu handeln.
«Würden Sie sich bitte anschnallen», sagt die Stewardess in diesem Moment, meint aber nicht mich, sondern den Mann neben mir.
Ich sitze im Flugzeug nach Mallorca, der Start hat sich ein wenig verzögert. Eigentlich könnte ich jetzt einen Blick in das Dossier werfen. Görges hat es mir gegeben, um mich auf das Treffen mit der Eigentümerfamilie vorzubereiten. «Familie von Beuten» steht klein auf dem Deckblatt der Mappe. Sie liegt auf meinen Knien, ich habe momentan überhaupt keine Lust, hineinzusehen.
Wie mag es Fred gehen? Lisa und Tommi waren nicht begeistert, als ich sie bat, Fred eine Weile bei sich aufzunehmen, aber da Tommi und ich ja jetzt fast beste Freunde sind, blieb den beiden keine andere Wahl. Darauf habe ich natürlich spekuliert. Ich vermute zwar, Fred wird jetzt vegetarisch ernährt und muss bei der Wahl seines Schlafplatzes bestimmte Feng-Shui-Regeln einhalten, habe aber keinen Zweifel daran, dass mein Hund sich mit Lisa und Tommi arrangieren wird. Oder aber er beißt sie einfach.
Die Turbinen werden einen kurzen Moment lauter. Wir rollen.
Ich lehne mich zurück, schließe die Augen. Der Kapitän erzählt irgendwas, ich höre nicht zu.
Ein leichtes Rucken, wir biegen gerade auf die Startbahn ein.
«Entschuldigung», höre ich die Stewardess sagen, beziehe es aber nicht auf mich. «Entschuldigung», wiederholt sie und berührt mich nun sanft an der Schulter. «Gehört das Ihnen?»
Ich öffne die Augen, sehe in das lächelnde Gesicht von Iris, und einen Moment bin ich zwischen Erstaunen und Erschrecken gefangen.
Dann sehe ich, dass Iris’ Lächeln sich auf einem großformatigen Foto befindet, das die Stewardess mir direkt vors Gesicht hält. «Es lag im Gang. Es muss Ihnen aus der Mappe gefallen sein.»
Ich nehme das Foto. «Danke.» Die Stewardess nickt freundlich, geht weiter die Reihen entlang. Die Turbinen werden lauter, wir rollen schneller.
Ich bin immer noch perplex über das Foto und öffne die Mappe. Es sind gut ein Dutzend Fotos darin, außerdem ein mehrseitiger Ausdruck. Ich sehe, dass auch die Rückseiten der Fotos beschriftet sind, und drehe Iris’ Foto um. «Dr. Iris Jasper, geb. von Beuten» ist dort zu lesen. Ich überfliege ihren Lebenslauf und verstehe, dass Iris zu den Verlagserben gehört, sich aber offenbar wenig aus dieser exponierten Stellung macht. Deshalb geht sie einem normalen Job nach und verliert kein Wort darüber, über die Maßen vermögend zu sein. Noch etwas erstaunt mich. Iris war bereits einmal verheiratet, daher ihr Nachname. Ich stecke das Foto zurück in die Mappe. Wieder schließe ich die Augen. Die Turbinen rauschen, wir sind offenbar kurz vor dem Start. Ich versuche, meine Gedanken zu sortieren.
Iris gehört zur Eigentümerfamilie und wird deshalb mit darüber entscheiden, ob ich künftig ihr Unternehmen leiten soll. Das heißt auch, ich werde sie auf Mallorca treffen. Und sie war schon einmal verheiratet, es ist also nicht gesagt, dass sie ausgerechnet diesmal den Richtigen ausgesucht hat. Die Turbinen jaulen, das Flugzeug jagt über die Startbahn, dann hebt sich langsam die Nase des Vogels in die Luft.
Vielleicht tauschen die Götter ja doch manchmal, denke ich.
Die Maschine hebt ab, klettert in den Himmel.
Der Mann neben mir atmet schwer und schwitzt ein bisschen.
«Flugangst?», frage ich.
Er nickt. «Ich weiß schon, ist völlig unbegründet, weil das Flugzeug das sicherste
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