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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben
Autoren: Jessica Warman
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nicht jetzt. Nichts von alledem fühlt sich real an.
    »Liz?«, fragt Alex; seine Stimme ist nicht mehr ganz so gleichgültig. »Du bist so still. Bist du … du weißt schon… okay?«
    Ich starre ihn finster an. »Oh, mir geht’s fantastisch. Die Polizei hat nur gerade meine Leiche aus dem Meer gefischt. Ich sehe scheiße aus. Ich habe Geburtstag, und ich bin tot, und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, bin ich von den Stunden im Wasser auch noch so aufgequollen und widerlich, dass sie den Sarg bei der Trauerfeier vermutlich nicht mal offen lassen können. Ich bin hässlich . Ob ich okay bin? Nein, Alex, ich bin verflucht nochmal nicht okay.«
    »Keine Sorge«, sagt er ruhig, ohne auf meine Schimpftirade einzugehen. »Du wirst dich dran gewöhnen.« Er hält inne. »Du bist gerade gestorben, Liz. Machst du dir darüber wirklich am meisten Gedanken? Wie deine Leiche gerade aussieht? «
    Ich beiße mir auf die Unterlippe. Diesen Eindruck könnte man wohl haben. Bin ich wirklich so oberflächlich? Es gibt so viele Dinge, die im Moment wirklich wichtiger wären. Ich weiß nicht, was ich auf seine Frage erwidern soll.
    Ich bemerke, wie Alex’ Blick über die Menge zum Rand des Geschehens schweift, wo die Taucherinnen ihre Neoprenanzüge abgelegt haben und Jogginghosen über ihre Badeanzüge streifen. »Sieh mal«, sagt er.
    Die Taucherinnen stehen zusammen und unterhalten sich. Eine von ihnen weint. Sie sagt etwas zu der anderen Frau.
    »Ich möchte hören, worüber sie reden«, erkläre ich ihm. »Ich gehe rüber.«
    Die erste Frau hat kurzes, braunes Haar. Ihre Finger sind von dem Aufenthalt im Wasser verschrumpelt. Sie hält ihren Kopf gesenkt, als wolle sie nicht, dass andere Leute mitbekommen, dass sie weint.
    »Ich habe eine Tochter in dem Alter«, erzählt sie der anderen Frau, einer großgewachsenen Blondine. »Sie lebt bei ihrem Vater in Vermont.«
    Die Blonde schüttelt den Kopf. »Was zur Hölle ist hier passiert? « Sie senkt ein wenig die Stimme. »Was für verantwortungslose Eltern lassen ihr Kind eine Party auf einem Boot schmeißen? Mit Alkohol? Und du weißt, dass auch Gras an Bord war. Diese Kids waren letzte Nacht vollkommen hinüber.«
    Aber das waren wir doch gar nicht! Okay, vielleicht ein bisschen. Offensichtlich zu sehr. Aber meine Eltern wussten nicht, dass wir etwas trinken würden. Meine Eltern sind gute Menschen. Und wie ich bereits sagte, waren wir auch gute Kinder. Zumindest dachte ich, dass wir das wären; Alex ist da offensichtlich anderer Ansicht, und ich fange an zu glauben, dass er vielleicht sogar recht hat. Wieder leuchtet ein Gedanke in meinem Verstand auf, grell wie Neon: Wie ist das passiert?
    Die Blondine verdeckt ihre Augen mit der Hand; die andere streckt sie aus, um nach dem Arm der weinenden Frau zu greifen. »Man kann so viel auf seine Kinder aufpassen, wie man will. Man kann sich bemühen, sie immer im Blick zu behalten. Doch das spielt letztlich keine Rolle. Solche Dinge passieren aus Gründen, die wir nicht begreifen.«
    Die Brünette wischt sich über die Augen und wirft der blonden Frau einen scharfen Blick zu. »Meinst du damit Gott?«
    Die Blonde nickt. »Der Herr gibt, und der Herr nimmt. Das entzieht sich unserer Kontrolle.«
    Eine lange Pause folgt. Dann sagt die Brünette: »Weißt du, ich denke, das ist nichts weiter als ein Haufen Blödsinn. Hätten diese Eltern auch nur einen Funken Verstand, hätten sie es verhindern können.«
    Und damit – ohne irgendein Gefühl von Bewegung, ohne dass ich will, dass es passiert – bin ich neben meinem Vater.
     
    Mein Dad und Nicole stehen inmitten meiner Freunde. Bei ihnen sind vier Polizisten. Ich erkenne bloß einen von ihnen: Sein Name ist Joe Wright, und er ist der Sheriff unserer Stadt. Schon komisch; ich habe dieses unbestimmte Gefühl, dass ich ihn von irgendwoher kenne, es ist nicht nur sein Name und sein Gesicht, an das ich mich erinnere. Also schließe ich die Augen und versuche, mich in eine Erinnerung gleiten zu lassen, und fast sofort sehe ich, was passiert, direkt vor mir. Da sind Richie und ich, wie wir einige Monate zuvor zusammen rummachen, nach dem Abschlussball der Mittelstufe. Wir hatten im SUV von Richies Vater, den er sich für unseren großen Abend geliehen hatte, am Strand von Groton Long Point geparkt. Wir waren gerade hinten auf dem Rücksitz des Geländewagens unter einer Decke am Gange, als Joe Wright mit seiner Taschenlampe gegen das beschlagene Fenster klopfte.
    Damals schien er
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