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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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rechne damit, dass sich darin ebenjene Fotos von mir befinden, bei denen sich mir schon so viele Male der Magen umgedreht hat.
    Doch auf den Bildern ist etwas vollkommen anderes zu sehen.
    Alex starrt zu uns empor. Er sieht genauso aus wie in meiner Erinnerung an jene Nacht: nass, blutig, zerstört, tot. Ihn jetzt so auf dem Foto zu sehen ist nicht weniger grässlich als meine eigene Erinnerung.
    Vince schweigt, während er die Bilder durchsieht. Nach Alex folgen fünf verschiedene Aufnahmen seines Fahrrads: ramponiert, verbogen, weit entfernt von seinem Leichnam.
    »Was soll das?«, fragt Vince. Seine Stimme zittert. Bloß ein klitzekleines bisschen, aber das genügt. »Warum zeigen Sie mir das?«
    »Schauen Sie sich alle an«, sagt Joe ungezwungen, fast im Plauderton. »Dem nächsten sollten Sie übrigens Ihre volle Aufmerksamkeit schenken.«
    Es ist ein Bild von Alex’ Fahrrad, eine Großaufnahme. Ich weiß sofort, worauf Joe hinauswill. Am hinteren Pedal, so klein, dass man es beinahe nicht sieht, ist ein roter Schmierfleck.
    »Sehen Sie das?«, fragt Joe.
    Vince nickt. »Blut. Na und?«
    »Das ist kein Blut. Das ist Autolack.«
    Vince lässt die Fotos in seinen Schoß fallen. »Ich sagte es Ihnen doch schon. Ich habe keine Ahnung, was das alles mit mir zu tun hat.«
    »Laut Ihrer Aussage – laut Ihrer Aussage, Vince –, haben Sie Elizabeths Wagen für sie repariert, eine Woche nachdem Alex Berg bei einem Unfall mit Fahrerflucht getötet wurde. Sie haben mir selbst gesagt, dass Sie sie bei der Gelegenheit kennengelernt haben. Erinnern Sie sich? Sie wollte den Schaden nicht bei der Versicherung melden. Sie wollte, dass er schnell repariert wird. Und sie wollte die Sache nicht an die große Glocke hängen. Ist das richtig?«
    Vince nickt bloß.
    »Ich glaube, als Sie ihren Wagen repariert haben, ist Ihnen irgendetwas aufgefallen. Ich denke, Sie sind genau wie ich dahintergekommen, dass sie diejenige war, die diesen Jungen getötet hat. In der Nacht, in der er angefahren wurde, regnete es. Wahrscheinlich ist Liz aus ihrem Auto gestiegen und hat an ihrem Mustang nach Blut gesucht, nach irgendeinem Hinweis darauf, dass sie an dem Unfall beteiligt war. Aber auf der Unterseite ihres vorderen Kotflügels hat sie nicht nachgeschaut, nicht wahr?«
    Vince beißt sich fest auf die Lippe. Er erwidert nichts darauf.
    »Ich denke, Sie haben unter ihrem Kotflügel Lack von Alex Bergs Fahrrad gefunden. Sie wussten, dass sie für seinen Tod verantwortlich ist. Ich denke, Sie haben sie erpresst. Womit haben Sie ihr gedroht? Dass Sie zu den Cops gehen, wenn sie nicht mit Ihnen schläft?«
    Vince schnüffelt. Er sieht aus wie ein in die Enge getriebenes Tier. »Diese kleine Schlampe« sagt er. »Hat mich behandelt, als wäre ich nicht mal so gut wie der Dreck unter ihrem gottverdammten Stiefelabsatz.«
    »Erzählen Sie mir, was passiert ist«, sagt Joe. »Kommen Sie. Erleichtern Sie Ihr Gewissen.«
    Vince leckt sich über die Lippen. Er lächelt . »Tut mir leid, das sagen zu müssen«, erklärt er Joe. »Aber ich habe kein verfluchtes Gewissen.«
    »Da bin ich mir sicher.« Joe steht auf und greift nach seinen Handschellen. »Hoch mit Ihnen. Sie sind verhaftet.«
     
    Ich weiß beinahe im selben Moment, welche Erinnerung ich hier gerade sehe, als sie sich vor mir auftut: Ich stehe in Richies Zimmer und bitte ihn, mich zu begleiten, wenn ich meinen Wagen von Fender Benders abhole.
    Aber Richie hat keine Zeit, mich zu Vinces Werkstatt zu fahren.
    »Ich muss Hausaufgaben machen«, erklärt er mir entschuldigend, während ich schmollend in seinem Zimmer stehe.
    »Was für Hausaufgaben? Richie, es dauert bloß eine Stunde, hin und wieder zurück. Komm schon.« Ich lasse seine Autoschlüssel in meiner Hand baumeln. Ich bin aufgedonnert wie immer, bereit zu gehen. Aber ich kann nicht einfach seinen Wagen nehmen, nicht, wenn er nicht mitkommt. Denn sonst habe ich natürlich keine Möglichkeit, ihn wieder mit zurückzunehmen.
    »Ich schreibe einen Aufsatz für den Literaturkurs. Über Macbeth . Möchtest du lesen, was ich bereits geschrieben habe? Eigentlich sollten es nur zehn Seiten sein, aber allein meine Kurzfassung ist schon zwölf Seiten lang. Das Ding wird richtig gut, Liz.«
    Ich blicke finster drein. Tatsächlich sehe ich aus, als würde ich gleich anfangen zu heulen, doch offensichtlich entgeht ihm die Tragweite der Situation. »Richie. Wen interessiert schon Macbeth ?«
    »Mich. Mich interessiert Macbeth .« Richie hält inne.

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