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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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geschminkt ist, obwohl mein Haar perfekt gestylt ist, wirkt mein Antlitz kreidebleich, und meine Augen sind blutunterlaufen. Ich wäre nicht überrascht, wenn ich die ganze letzte Nacht über keine Sekunde geschlafen hätte. Ich male mir aus, dass ich vielleicht wachgeblieben bin und alte Jahrbücher nach weiteren Fotos von Alex Berg durchforstet habe. Ich stelle mir vor, wie ich darüber brüte und sein Gesicht studiere, in dem Versuch, das Bild von ihm zu ersetzen, das sich in mein Gehirn eingebrannt hat: blutiges Gesicht, verzweifelte Augen, ein zitternder Mund, der keuchend diesen letzten, grässlichen Atemzug tut.
    »Ich habe nicht angenommen, dass Sie ein Analphabet sind.« Warum unterhalte ich mich überhaupt mit ihm? Ich sollte mir die Schlüssel aus seiner dreckigen Hand schnappen – sie sind gleich vor meiner Nase, weniger als eine Armlänge entfernt – und schleunigst von hier verschwinden.
    »Wie auch immer, ist schon komisch, wie das Leben manchmal so spielt. Weißt du, letzte Woche wurde ein Junge getötet, als er mit seinem Fahrrad nach der Arbeit nach Hause fuhr. Sie haben seine Leiche erst vor ein paar Tagen gefunden. Hast du davon gehört?«
    Ich lege eine Hand auf meinen Magen. Vermutlich ist mir schlecht; als ich mir selbst dabei zusehe, wie ich mich mit Vince auseinandersetze, wäre ich sogar überrascht, wenn mir nicht schlecht wäre. Wahrscheinlich hätte ich an jenem Morgen etwas essen sollen, aber ich nehme an, das habe ich nicht getan.
    Kontrolle. Es geht nur um Kontrolle. Oder, das wird mir jetzt klar, um die Illusion , die Kontrolle zu besitzen. Vermutlich werde ich auch auf mein Mittagessen verzichten, wenn ich nach dieser Begegnung mit Vince nach Hause komme. Stattdessen breche ich vielleicht zu einem langen Lauf auf. Das heißt, nachdem ich mir Richie zur Brust genommen habe.
    »Ich habe davon gehört«, sage ich und tue mein Bestes, unbeteiligt zu klingen. »Es war ein Unfall mit Fahrerflucht. Schrecklich. Aber worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
    »Nun, das wirst du gleich erfahren, Liz. Oder ist es Elizabeth? Kann ich dich Elizabeth nennen?«
    »Nein.«
    »In Ordnung, Elizabeth. Lass mich zur Sache kommen.« Seine Lippen sind zu einem zufriedenen Lächeln verzogen. »Du hast diesen Jungen angefahren, nicht wahr? Auf jeden Fall ist diese Geschichte, du hättest eine Parkuhr gerammt, gelogen. Das ist verflucht nochmal sicher, denn das Ganze ergibt nicht den geringsten Sinn.« Er grinst spöttisch. »Welcher Schwachkopf rammt schon eine Parkuhr? Und noch dazu mit dem vorderen Kotflügel?« Vince schüttelt den Kopf. »Nö. Das ist Blödsinn.«
    Ich zittere am ganzen Körper. Kaugummi, Galle, was immer sich in meinem Magen befindet, ich bin sicher, dass sich mir jetzt alles umdreht. »Sie irren sich. Ich habe ihn nicht angefahren.«
    »Nun, wer auch immer deinen Wagen gefahren hat, hat ihn jedenfalls erwischt, da bin ich mir verflucht nochmal sicher. Siehst du, Elizabeth, auch wenn dieser Auftrag Schwarzarbeit war, habe ich die Gewohnheit, Fotos von meinen Reparaturen zu machen. Und als ich diese Fotos knipste, fiel mir das hier auf.« Er zieht ein Polaroid aus seiner Gesäßtasche und reicht es mir. Es ist ein Bild von der Unterseite meines vorderen Kotflügels. Dort, an einer Stelle, die ich nicht bemerkt hatte, als ich den Wagen selbst unter die Lupe nahm, ist ein Fleck blauer Farbe, umgeben von mehreren kleinen Kratzern am Mustang.
    »Blau«, sagt Vince, als wäre diese Erklärung notwendig. »Blau, so wie das Fahrrad des Jungen. Habe ich recht?«
    Wir starren einander an. Ich kann mich selbst tatsächlich zittern sehen; meine Unterlippe bebt. Nichts von alldem würde passieren, wenn Richie jetzt hier wäre — oder? Würde er mich nicht beschützen? Aber er ist nicht hier, und ich bin allein mit Vince und seinem hässlichen Köter, und er kann alles mit mir machen, was ihm in den Sinn kommt. Alles. Dies ist schlimmer als eine Bombe in einem Bus. Es ist ein Alptraum. Und ein Teil von mir weiß, dass ich nichts anderes verdient habe. Ich habe jemanden umgebracht. Damit kommt man nicht einfach so davon. Nicht einmal Leute wie ich.
    »Was wollen Sie?«, frage ich.
    Vince lächelt wieder. »Eine Menge. Für den Anfang fünfhundert Mäuse. Du kannst die Kohle Ende der Woche zu meinem Apartment bringen.« Seine Augen wandern über meinen Körper. »Nein. Nicht Ende dieser Woche. Schon morgen. Vielleicht könnten wir beide ein bisschen Spaß zusammen haben. Was hältst du

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