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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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einzige Licht fällt aus dem Zimmer meines Freundes. Richies Vorderfenster steht offen. Er sitzt auf dem Fensterbrett, ein Bein gegen den Rahmen gelehnt, und raucht eine Zigarette.
    »Was für ein cooler Typ. Du hast da ja wirklich einen tollen Fang gemacht.« Mr. Riley hält inne. »Also, da wären wir. Ich nehme an, wir sehen uns morgen?«
    »Ich schätze schon.«
    »Bist du sicher, dass da nichts ist, worüber du …«
    »Doch, da ist etwas«, sage ich. »Aber nicht jetzt. Okay?«
    Er nickt. »Okay.«
    Ich öffne die Tür, um auszusteigen, doch bevor ich auch nur meine Füße nach draußen schwingen kann, legt Mr. Riley mir eine Hand auf die Schulter. »Liz, mein Gott.«
    »Was ist?« Seit ich die Beifahrertür geöffnet habe, ist die Innenbeleuchtung des Wagens an, und er mustert mich ungläubig. »Was ist los? Warum sehen Sie mich so an?«
    Er streckt die Hand nach mir aus und wirft einen Blick auf mein Haar zwischen seinen Fingern. »Ich will verflucht sein«, murmelt er. Er hält eine Strähne meines Pferdeschwanzes hoch, um sie mir zu zeigen. »Du wirst grau.«

23
    Joe Wright schaut alle paar Tage bei Vince Aiellos Apartment vorbei, angeblich, um nach ihm zu sehen und sicherzugehen, dass Richie ihn in Ruhe lässt. Zu Richies Bewährungsauflagen gehört, dass er sich Vince nicht näher als bis auf hundertfünfzig Meter nähern darf, doch Vince wirkt nicht unbedingt wie jemand, der wegen eines Verstoßes gegen diese Abstandsbestimmung die Cops rufen würde.
    Ich habe nie geglaubt – nicht eine Sekunde lang –, dass ich mich freiwillig mit Vince getroffen habe. Jetzt, wo ich weiß, dass ich Alex umgebracht habe, scheint offensichtlich, was passiert sein muss. Irgendwie ist Vince dahintergekommen, dass mein Wagen an dem Unfall in jener Nacht beteiligt war, und damit hat er mich erpresst. Angesichts dessen, was ich jetzt weiß, scheint diese Erklärung nahezuliegen. Doch soweit ich das sagen kann, ahnt Joe nichts von alldem. Wie könnte er auch? Und obgleich ich die Puzzleteile mittlerweile recht gut zusammenfügen kann, habe ich immer noch keine handfesten Erinnerungen, die all das belegen würden, was ich vermute.
    Und selbst wenn sich diese Erinnerungen irgendwann doch einstellen sollten – was soll ich dann mit ihnen machen? Aus dem Grab heraus ist es mir leider nicht möglich, viel zu beweisen. Ich kann mit niemandem darüber reden. Nicht einmal mehr mit Alex.
    Es ist ein verregneter Dienstagabend Mitte November, als Joe Vince in seinem Apartment einen Besuch abstattet. Ich habe gesehen, wie er das Polizeirevier verließ, und mein Instinkt riet mir, ihm zu folgen. Ich hatte recht: Er fuhr geradewegs nach Covington Arms.
    Seit mein Dad verkündet hat, dass er das Haus zum Verkauf anbieten wird, ist knapp eine Woche vergangen, und seitdem ist die Stimmung zu Hause, gelinde gesagt, düster. Mein Dad lebt mittlerweile mehr oder minder die ganze Zeit über auf dem Boot. Er geht immer noch nicht zur Arbeit. Josie geht in die Schule, und Nicole packt Kartons — aber um wohin zu gehen? Ich habe keine Ahnung, ob sie sich scheiden lassen oder einfach bloß zusammen wegziehen werden; ich weiß gar nichts. Ich fühle mich verloren. Ich bin verloren.
    Vince schaut sich etwas im Natursender an, in irgendeine Dokumentation über Elefanten vertieft. Er ist allein, abgesehen von seinem Hund Rocky, der zu Vinces Füßen liegt und schläft. Offensichtlich ist der Kerl ein richtiger Tierfreund. Mir wird klar, dass es nicht immer einfach ist, den Unterschied zwischen gut und böse zu erkennen: Er ist nicht annähernd so offensichtlich, wie ich gerne glauben möchte. Hier ist Vince, von dem ich weiß, dass er ein mieser Kerl ist, und sieht Elefanten dabei zu, wie sie in Wasserlöchern herumplanschen, ein kleines, anerkennendes Lächeln auf seinem Gesicht. Er tut nichts übermäßig Geschmackloses: Er blättert keinen Playboy durch oder betrinkt sich. Mir wird bewusst, dass der Charakter eines Menschen niemals nur schwarz und weiß ist. Da ist immer auch noch jede Menge grau.
    Als Joe an die Tür klopft, wirft Vince einen Blick in Richtung des Geräuschs, eindeutig verärgert über die Störung. Obwohl er nichts Schlimmes tut, ist es mir fast unerträglich, hier zu sein; ich wäre lieber an so ziemlich jedem anderen Ort. Doch ich habe nicht das Gefühl, als hätte ich eine nennenswerte Wahl. Ich muss hören, was sie sagen. Ich muss mich erinnern. Selbst wenn es vielleicht nichts mehr ändern wird, muss ich dennoch genau

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