Manche Maedchen muessen sterben
nicht? Warst du nicht in der GCA?«
Damit meint er die Gemeinschaft christlicher Athleten. »Doch«, sage ich. »Tatsächlich bin ich sogar die Vizepräsidentin. «
»Dann solltest du das wissen.«
Ich zucke die Schultern. »Ich bin bloß beigetreten, damit ich das in meine Collegebewerbungen schreiben konnte. Ich war nicht wirklich eine Christin.« Und ich zögere. »Es ist seltsam, dass ich mich daran erinnere. Findest du nicht? Was sollte das für eine Rolle spielen?«
»Ich weiß es nicht«, sagt er. »Aber irgendwie ist es schon aufschlussreich. Es sagt etwas darüber aus, wer du warst.« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Wenn du nicht einmal Christin warst, wie bist du dann so weit nach oben gekommen?«
Zunächst antworte ich ihm nicht; stattdessen schaue ich mich noch weiter um. Das Haus ist vollkommen überladen. Abgesehen von all dem religiösen Schnickschnack, von den Kerzen und den Statuetten und den kalligrafierten Gebetstexten, die an den Wänden hängen, herrscht allgegenwärtige Unordnung. Ich sehe, dass sich in der Küchenspüle das Geschirr stapelt. Neben dem Sofa im Wohnzimmer türmt sich in drei verschiedenen Körben die Wäsche — ich vermag nicht zu sagen, ob sie sauber oder schmutzig ist. In einer Ecke des Raums steht ein Katzenklo, das dringend gereinigt werden muss.
Ich rümpfe die Nase. »Ich dachte, Reinlichkeit kommt gleich nach Göttlichkeit. Und um deine Frage zu beantworten, wir haben abgestimmt. Allerdings war es nicht so, als hätte ich einen Wahlkampf geführt oder so was.«
»Und du wurdest einfach gewählt? Obwohl du eigentlich keine Christin bist?« Seine Verärgerung ist offensichtlich. Es ist, als hätte er nicht die geringste Ahnung davon, was es heißt, ein Teenager zu sein. Denn das ist der springende Punkt: Nichts davon ist mehr von Bedeutung. Wir waren bloß Kinder. Was spielt es schon für eine Rolle, dass ich keine Christin bin? Niemand wird mich einem Test über das Neue Testament unterziehen, um meine Berechtigung in Frage zu stellen, Vizepräsidentin der GCA zu sein, weil man dafür keine Berechtigung braucht . Ich glaube, am meisten habe ich letzten Frühling für dieses Amt getan, als ich dabei half, eine Spendensammlung für die örtliche Tafel zu organisieren. Meine gesamte Arbeit bestand darin, Pappkartons für unverderbliche Lebensmittel in jedes Klassenzimmer zu stellen. Wieder wirkt die Erinnerung so zufällig, so bedeutungslos. Warum weiß ich das, während ich mich beim besten Willen an andere Dinge nicht erinnern kann, Dinge, die doch offensichtlich so viel wichtiger sind? Es scheint, als erfordere das Totsein eine Geduld, die ich einfach nicht habe. Jedenfalls noch nicht.
»Es war eine ziemliche Herausforderung«, erkläre ich ihm. »Ich sage dir, ohne die helfende Hand Gottes wäre ich dazu niemals imstande gewesen.« Bereits von Kindesbeinen an kamen mir Religionen immer lächerlich vor. Was für ein Gott nimmt einem Mädchen von neun Jahren seine Mutter?
Okay, ich habe ihn wütend gemacht. Er bebt schier vor Zorn. »Sag so was nicht. Nicht in meinem Zuhause. Zeig etwas mehr Respekt.«
»Für wen? Für Gott?«
»Ja.«
»Oh.« Mein Tonfall wird locker, beinahe spöttisch. Ich kann nicht anders. Dass er nach wie vor an seinem Glauben festhält, erscheint mir in Anbetracht der Umstände absurd. »Ich frage dich, Alex: Was denkst du, wo er ist? Gott?«
»Wir sind hier, oder nicht? Es ist also nicht so, als gebe es nichts nach unserem Tod.«
Ich starre auf meine Stiefel hinunter und wackle mit meinen schmerzenden Zehen, von denen jeder einzelne seine ureigene Symphonie des Schmerzes anstimmt. »Ich glaube, dies könnte die Hölle sein.«
»Wenn du das wirklich glaubst«, sagt er, »dann bist du noch verdorbener, als ich dachte.«
Im hinteren Teil des Zimmers steht ein hölzernes Klavier an der Wand. Der Deckel ist von Fotografien übersät. Alex setzt sich auf die Bank und starrt die Tasten an.
»Spielst du?«, frage ich ihn.
Er nickt. »Seit ich vier bin.«
Jedes Bild auf dem Klavier zeigt Alex, von der Zeit an, als er ein Baby war, bis wenige Monate oder Wochen, bevor er getötet wurde.
Er schließt die Augen. Seine Finger beginnen, mühelos über die Tasten zu huschen.
Die sonderbare Energie – das Netz der Traurigkeit, das mir das erste Mal draußen auffiel, als Richie die Post durchsah – fühlt sich jetzt noch dichter an, als würde sie das gesamte Haus umgeben, uns so fest umschließen, dass ich mich fühle, als
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