Manche Maedchen raechen sich
fast annehmen könnte, er wäre eines Tages einfach als ausgewachsener Mann auf die Welt gekommen.
Und ich? Ich stehe auf diesem weißen Flur herum, die Hände voller bunter Kaubonbons, und habe keine Ahnung, wie ich sie essen soll. Ich muss grinsen. Stimmt ja. Wir sind hier in der Psychiatrie. Und hierher haben sie Lexi gebracht, die Normalste von uns allen. Mal sehen, wo ich lande.
Wir besuchten Lexi am Montag nach der Party.
„Wie hat es sich eigentlich angefühlt?“, fragte ich und wurde rot. Ich hatte die Frage ganz falsch gestellt. Mal wieder. Das klang ja geradeso, als würden wir darüber plaudern, wie wir unsere Jungfräulichkeit verloren hatten. Oh Gott, vielleicht taten wir das auch, aber ich wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, dass es auf diese Weise passieren würde.
„Wie ging es dir dabei?“, verbesserte ich mich, doch diese Frage war mir kein bisschen weniger unangenehm.
Lexi verzog keine Miene. „Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern“, antwortete sie. „Aber weißt du, was komisch ist? Nachdem ich wusste, was passieren würde, fand sich ein Teil von mir einfach damit ab. Und ich musste nicht mal herausfinden, wie es geht. Es ging wie von selbst.“
Ich nickte, obwohl ich nicht verstand, was sie meinte.
„Und weißt du, woran ich die ganze Zeit gedacht habe? Ich dachte daran, wie froh ich bin, dass ich schon ein Kleid für den Ball habe. Ich musste an mein wunderschönes rosafarbenes Ballkleid denken, das Mr s Dashwood extra für mich genäht hat. Kannst du dir das vorstellen? In so einer Situation! Und dann fiel mir ein, dass ich noch keine passenden Schuhe und auch noch keine Handtasche habe und dass ich mich dringend darum kümmern muss, wenn alles vorbei ist.“
„Lexi“, sagte ich und schluckte, „wir werden die ganze Sache klären. Und wir werden auf dich aufpassen. Du wirst zum Ball gehen und du wirst toll aussehen. Das verspreche ich dir.“
„Wirklich?“, entgegnete Lexi. Sie schaute auf ihre Hände und dann zu mir. „Die alte Lexi, die hätte toll ausgesehen. Aber die neue doch nicht. Weißt du was, Lizzie? Als ich gestern nach Hause kam, bin ich zum Kühlschrank gerannt, hab ihn aufgerissen und ein Riesenstück Schwarzwälder Kirschtorte in mich hineingestopft. Danach hab ich mich so geekelt, dass ich den Rest der Torte mitsamt Karton und allem in den Mülleimer geworfen habe. Ich wollte aus der Küche raus, aber es ging nicht. Ich hatte immer noch tierischen Hunger. Und am Ende saß ich auf dem Boden und hab Torte aus dem Mülleimer gegessen. Hast du so was Widerliches schon mal gehört? Meine ganze Diät war umsonst. Ich werde in diesem Kleid bestimmt nicht toll aussehen. Nie wieder.“
„Oh, Kleines“, flüsterte ich und schlang meine Arme um sie. Sie wehrte sich nicht. Lexi fühlte sich unter meinen Händen so zerbrechlich an wie ein kleiner Vogel.
„Was machen wir denn jetzt?“, flüsterte ich, als Marianne und ich uns von Lexi verabschiedet hatten.
Es war Marianne anzusehen, dass sie gleich wieder mit Polizei und Krankenhaus anfangen wollte.
„Wir bringen sie nicht zur Polizei“, sagte ich, bevor sie überhaupt den Mund aufmachen konnte. „Ihr geht’s nicht gut. Und sie redet wirres Zeu g – Himmelherrgott, sie hat gerade erzählt, dass sie Torte aus dem Mülleimer gegessen habe.“
Ich presste mir die Faust aufs Herz, während ich sprach. Am liebsten hätte ich es mir herausgerissen, damit es mich nicht länger daran erinnern konnte, dass ich noch am Leben war. Ich spürte immer noch seine Postkarte und verging fast vor Schmerz.
„Dann weiß ich auch nicht, was wir machen sollen“, antwortete Marianne. „Sie will ja nicht mal mit mir reden.“
In ihren Augenwinkeln war noch ein Rest des blauen Eyeliners, den sie am Samstag getragen hatte. Ihre weiße Schulbluse war zerknittert und hatte eine dunkle Stelle, die aussah wie ein Essensfleck.
„Keine Polizei. Im Augenblick erzählt sie nicht mal mir, was genau passiert is t – und mit dir will sie überhaupt nicht reden. Warum sollte sie also mit einem Wildfremden sprechen wollen?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Marianne.
„Verdammt noch mal, Marianne! Jetzt hilf mir doch mal!“
„Nein!“ Dann verstummte sie und versuchte, sich wieder zu sammeln. „Am Samstag wolltest du meine Hilfe ja auch nicht.“
„Es geht hier aber nicht um mich“, antwortete ich, „also stell dich nicht so an, Marianne! Das ist kein Spiel, hier geht es um Lexi. Und dir liegt doch was an ihr, oder
Weitere Kostenlose Bücher