Manche Maedchen raechen sich
Gespenst. Seit Samstag lief sie nun schon so rum. Ich wünschte, sie würde sich ein bisschen zusammenreißen. Schließlich war nicht sie die Leidtragende, sondern Lexi.
„Oh ja, Alexandria. Ein so nettes Mädchen.“
Ich fand es schrecklich, dass Miss Bailoutte Lexi anpries wie eine Ware.
„Wir müssen mit jemandem spreche n – es ist vertraulic h – und wir dachten, wir könnten uns an Sie wenden.“
„Ja?“
„Es geht um Aar… um Alistair Aardant. Wir waren zusammen auf einer Par…“
Marianne griff nach meinem Arm und ich verstummte.
Stimmt ja, die Party . Eigentlich durfte gar keiner wissen, dass es eine Party gegeben hatte. Und wenn wir Miss Bailoutte davon erzählten und sie es Janes Eltern weitertratschte, würden wir alle riesengroßen Ärger bekommen. Ganz gleich, wie wenig ich Jane Mutton mocht e – irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir alle in einem Boot saßen. Ob wir wollten oder nicht.
„Alistair, er ha t … er hat Lex i … etwas angetan.“
Mehr brachte ich nicht heraus.
Ich schämte mich. Ich schämte mich an Lexis Stelle.
Was, wenn die ganze Schule davon erfuhr? Lexis Vater wusste ja auch noch nicht Bescheid und sollte er es nicht lieber aus ihrem Munde erfahren? Mir ist klar, dass ich nur nach Ausflüchten suchte. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, was Lexi widerfahren war. Ich brachte das V-Wort nicht über die Lippen.
Plötzlich war Miss Bailouttes Interesse geweckt. Sie wirkte richtig aufgeregt. Ich hatte ein mulmiges Gefühl.
„Alistair Aardant? Der Football-Star?“
Ich hätte es wissen müssen. „Ja, genau der“, sagte ich bloß.
Wahrscheinlich ist es einfach unvorstellbar, dass der Football-Star der Schule ein Mädchen vergewaltigen könnte. Hätten wir Gauntly, den Death-Metal-Fan, beschuldigt, wäre vermutlich niemand überrascht gewesen. Oder Neil, der schon oft die Regeln gebrochen hatte. Wahrscheinlich hätten sie dann sogar noch behauptet, sie hätten es kommen sehen.
„Was hat Alistair getan?“
„Er hat Lexi angegriffen.“
„Inwiefern?“
„Er wollte sich an sie ranmachen.“
„Und?“
„Sie hatte eine Scheißangs…, ich meine, sie hatte furchtbare Angst. Aber es ist gerade noch mal gut ausgegangen. Sie konnte sich befreien.“
Marianne sah mich mit großen Augen an. Wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht, kurz bevor es überrollt wird. Aber ich konnte nicht anders. Wie Miss Bailoutte mich anstarrte! Als ob sie jeden Moment anfangen würde zu sabbern. Ich konnte es ihr einfach nicht sagen.
„Und hat Lexi diese Situation in Ihren Augen irgendwie provoziert?“
„Nein!“, schrie ich, um die Frage erst gar nicht an mich heranzulassen. Doch die Zweifel, die ich nicht haben durfte, überkamen mich dennoch und brachten mich fast um den Verstand. Lexi hatte erzählt, sie hätten „geredet“. Aber was genau hatte sie zu ihm gesagt?
Oh Gott, Lexi, hast du mir die Wahrheit erzählt? Oh Gott, wie kann ich nu r …
„Keine Angst, ihr könnt ganz offen sprechen. Ihr könnt mit mir über alles reden.“
Ich wollte aber nicht offen sprechen. Ich wollte nicht darüber reden. Ich wollte doch bloß, dass endlich jemand etwas unternahm.
„Es hilft euch bestimmt, das Geschehene zu verarbeiten, wenn ihr darüber sprecht. Erzählt doch mal, wo ihr gewesen seid, als sich der Überfall ereignete.“
Es gefiel mir nicht, wie Miss Bailoutte das Wort „Überfall“ betonte. Ich musste augenblicklich wieder an Lexi denken und wie sie auf Jane Muttons Bett gesessen hatte, neben Aardant, dem Freund des angesagtesten Mädchens der Schule. Lexi war nicht durch irgendeine finstere Gasse gelaufen, sie war nicht zu einem Fremden ins Auto gestiegen und am Ende im Graben gelandet. Sie war mitten unter uns gewesen, in East Rivermoor. Zusammen mit einem von Neils Freunden.
Letztes Jahr habe ich meine Mutter auf eine megaschicke Kunstausstellung begleitet, die sie mit einem ihrer Klienten besuchen wollt e – ein groß gewachsener Mann mit dunklem Teint, mit dem sie sich schmückte wie mit einer Handtasche. Eigentlich bin ich nur mitgegangen, weil meine Mutter mir versprochen hatte, mir dieses nagelneue braune Kleid von Cooper St zu kaufen. Wie auch immer, auf jeden Fall gab es da so eine Installation. Der Künstler, ein junger Typ, hatte ein Hotel in Puppenhausgröße nachgebaut und einen Verband darumgewickelt.
Wahrscheinlich kam ich mit ihm ins Gespräch, weil er die einzig vernünftige Person im Raum war. Mir war langweilig und meine Mutter war schwer
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