Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
Essen jetzt wieder „kostet“.
Ja, so hab ich mich das immer gefragt und mache es auch heute noch: „Wie viele Kalorien kostet mich das Essen jetzt?“
Schon eigenartig, was man sich so angewöhnt.
In dieser Zeit verlor ich auch immer mehr den Halt. Ich war jetzt allein in meiner Wohnung, die Geschichte mit Thomas zehrte an meinen Kräften, weil sie keinen Bestand hatte und ich wusste einfach nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Studieren in Kiel schaffte ich nicht, obwohl ich mich heute noch wundere, wie ich wirklich die Kraft aufgebracht habe, da zweimal allein (und dann noch mal mit einem Kumpel) hinzufahren.
Beim ersten Mal bin ich mit dem Zug gefahren, bin am Abend dort angekommen, hab mir so ein billiges Hotelzimmer genommen und da saß ich dann. Und dann hab ich gefressen, bis mir klar wurde, dass es nur Gemeinschaftstoiletten gab. Nicht gut! Für einen Süchtigen ist es einfach wirklich schwer, sich frei und unbeschwert durchs Leben zu bewegen. Ständig musste ich vorausschauen, planen, damit ich nicht plötzlich in eine Situation geriet, wo ich mich nicht meiner Sucht hätte hingeben können. Und dann bin ich am nächsten Tag allein zu der Uni, hab mich dort umgeschaut und ich fühlte mich gut, stark, weil ich es doch bis dahin so gut geschafft hatte.
Aber irgendwann hat mich die Einsamkeit gepackt. Mir wurde klar, dass ich das nie im Leben schaffen würde. Alles zu Hause aufgeben und völlig neu anfangen? Klar sah ich darin auch eine Chance, vielleicht mein Leben wieder in den Griff zu kriegen, so hatte ich mir da zu Hause jedenfalls eingeredet - aber hier vor Ort wurde mir klar, dass ich das niemals schaffen würde. Also hab ich mich wieder in den Zug gesetzt und bin heim. Das war beim ersten Mal, im folgenden Jahr lief es nicht viel besser.
Ich habe also schon immer weiter gekämpft. Ich wollte mich nicht einfach so meiner Kotzerei ergeben, es gab immer wieder Tage, an denen ich versucht habe, dagegen anzukämpfen. Vor allem nach einem Fressanfall, dieses typische Versprechen, morgen hör ich auf! Aber ich erinnerte mich auch immer wieder an Dinge aus der Klinik, die ich gelernt und damals auch erfolgreich angewendet hatte. Aber es fühlte sich immer wie ein Kampf gegen Windmühlen an.
Und es war schrecklich, sich selber so zu erleben!!! Ich kannte mich von früher, zielstrebig, ehrgeizig, erfolgreich, selbstbewusst... und jetzt? Jeden Tag verarschte ich mich selber, stand mit dem Vorsatz auf, heute schaffe ich das, heute geh ich nach der Arbeit im Laden nicht gleich einkaufen, ich geh in die Stadt, treff mich mit Freunden, heute kotze ich nicht und ich schmeiß Thomas aus meinem Leben. Ich such mir eine Arbeit, die mir gefällt... und dann war Nachmittag und der Hunger kam (weil ich ja nach wie vor nichts gegessen habe, außer beim Anfall, ich hungerte also den ganzen Tag) und mit dem Hunger auch die grenzenlose Gier nach Essen, der Trieb, der mich nicht mehr denken ließ außer, was stopf ich heute in mich rein, wann kann ich endlich nach Hause, hoffentlich hat die Straßenbahn keine Verspätung, hoffentlich seh ich niemanden der mich aufhält, hoffentlich gibt es meine Brötchen und meinen Käse, bitte lass mich schnell nach Hause...
Und dann schaust du nach dem Kotzen in den Spiegel und ich wusste wieder einmal, ich hatte versagt. Vor mir selber! Dann kommen die Ausreden, naja, war ja heute auch ein stressiger Tag, Thomas hat nicht angerufen, die Kunden waren unfreundlich, das Wetter ist schlecht, usw. usw.
Ich hab mich so mies gefühlt, schuldig, als völlige Versagerin. Und hab dann gleich weiter gefressen, was noch übrig geblieben ist, um auch noch den Rest Frust aus mir herauszukotzen. Meistens war ich danach erschöpft genug, um endlich zu schlafen, um am nächsten Morgen wieder aufzuwachen, mit denselben Vorsätzen, die ja doch nur wieder unmöglich umzusetzen waren für mich.
Mit diesem Selbsthass fertig zu werden, ist verdammt schwer. Ich wusste ja, dass ich echt am Ende war, ich konnte mir aber einfach nicht vorstellen, wie ich das hinkriegen sollte. Und es befriedigte mich zu sehr, gab mir trotz allem so viel Halt im Leben, dass ich niemals bereit gewesen wäre, mir helfen zu lassen. Also verarschte ich mich weiter, fraß und kotzte um meinen Selbsthass und die Stimmen in mir zu übertönen und meine beginnende Depression wegzudrücken.
Aber der Kreislauf führte unweigerlich nach unten. Selbst ein toller Abend mit Thomas war mit mehr Frust als Freude begleitet, weil
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