Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
danach das Warten wieder losging und Warten lässt sich super mit Fressen und Kotzen aushalten.
Die Spirale ging immer weiter nach unten, ich schaffte es zwar irgendwie, die Fassade nach außen hin aufrecht zu halten, aber im Nachhinein glaube ich, jeder der mich kannte, wusste was los war. Aber es nutzte ja nichts, ich wollte mir nicht helfen lassen. Die Vorstellung, nicht mehr mit Essen meine Sorgen bewältigen zu können, verursachte mir die reinste Panik. Ich konnte es mir einfach nicht mehr vorstellen, einen Tag „ohne“ zu verbringen. Und dafür nahm ich alles in Kauf. Die zunehmende Vereinsamung, weil ich einerseits nicht mehr weggehen wollte oder es kräftemäßig nicht schaffte, andererseits wollte auch kaum noch jemand mit mir was machen, weil ich ja immer ab einer bestimmten Zeit unruhig wurde und nach Hause ging. Oder eben einfach alles absagte, weil Thomas sich gemeldet hatte, oder ich die Idee hatte, er könnte sich melden.
Ich war nicht mehr gesellschaftsfähig, vor allem hatte ich aber auch nicht mehr die Kraft dazu. Lächeln für Andere, die Maske aufrecht halten, das ist so anstrengend und wurde immer schwieriger. Eine Zeitlang habe ich mich in Arbeit gestürzt, weil ich dachte, wenn ich mich anderweitig auspowerte, würde es besser werden oder wenn ich mich mit Arbeit ablenken würde, könnte ich wieder Fuß fassen.
Also hab ich angefangen, bei einem Mexikaner am Abend zu kellnern. Extra dort, weil mir Mexikanisch wirklich nicht schmeckt, dafür kannte ich mich mit dem Essen aber auch nicht aus. Ich hatte keine Ahnung, was die Gäste da eigentlich bestellten. Aber es ging relativ gut und ich hatte wenigstens am Abend was zu tun. Mein Plan, damit einige Fressanfälle abzuwenden, weil ich eben nicht mehr nur zu Hause sitzen würde, ging halbwegs auf. Aber lange ging auch das nicht gut.
Für mich war das Heimkommen immer mit einem Fressanfall verbunden. So hatte ich dann vielleicht den Abend über keinen Anfall, aber wenn ich nachts um eins dann endlich fertig war mit der Arbeit, fuhr ich danach zur Tankstelle, besorgte mir frische Croissants und fuhr völlig ausgehungert, meistens schon mit dem Hörnchen im Mund, nach Hause. An diesen Tagen schlief ich erst um drei Uhr nachts, je nachdem wie lange das Kotzen dauerte. Ich war zwar schön müde, ausgepowert, aber das ewige Hungern bis nachts um eins, um dann endlich, endlich etwas zu essen, dann am nächsten Tag wieder in den Laden, das war dann doch zu viel. Zwei Monate hab ich das ausgehalten, dann packte ich diese Doppelschicht nicht mehr.
Wieder eine Idee um rauszukommen, wieder gescheitert. Von außen gesehen konnte das ja auch nicht gut gehen. Den ganzen Tag nichts essen, ständig unterwegs um bloß nicht in einen Zustand der Langeweile oder des Ausruhens zu kommen, nachts um halb zwei fressen und kotzen, dann wieder raus... Auch wenn ich das mit dem Kellnern nur am Wochenende gemacht habe, es war zu viel. Aber für mich gab es nur diese zwei Möglichkeiten. Gar nichts tun, den ganzen Tag rumhängen, sich selber bemitleiden und völlig im Loch feststecken oder mich hoffnungslos anzutreiben, volle Power. Ergebnis war das gleiche, ich packte es nicht.
Und so fiel ich schon in der Zeit vor Weihnachten immer tiefer in Depressionen, ich sah einfach keinen Ausweg mehr.
Der Abschuss kam dann an Silvester 2000, das Fest für alles schlechthin! Jeder freute sich, jeder plante diese Jahrtausendwende. Und ich? Ich war mir sicher, Thomas würde mich, egal wohin, mitnehmen. Ich wollte nur mit ihm, sonst mit keinem feiern. Aber von meinen Freunden waren auch nicht mehr viele da. Und depressiv wie ich war, hatte ich ja auch auf nichts Lust. Und so kam es wie es kommen musste, wie man so schön sagt, es war Silvester und ich war allein. Kein Thomas und bis ich endlich akzeptiert hatte, dass er auch nicht mehr anrufen würde, war es auch schon zu spät für alle anderen Feten. Ja, ich habe Silvester 1999/2000 fressend und kotzend und alleine in meiner Wohnung verbracht. Und um halb zwölf, kurz vor dem Neuen Jahr, hab ich vor lauter Frust das Licht ausgemacht und hab geschlafen. Irgendwie habe ich gehofft, dass durch die Jahrtausendwende tatsächlich die Welt untergeht, ich hätte es mir an diesem Abend gewünscht!
10.01.2000
Ich kann nicht mehr, ich bin so allein und jeden Nachmittag heul ich vor mich hin. Es gibt keinen Ausweg mehr, ich schau mir Broschüren vom Arbeitsamt durch, aber das ist alles nix für mich. Thomas meldet sich nicht,
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