Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
Ende, das wusste ich ganz genau. Irgendwann im Februar habe ich mich dann tatsächlich dazu durchringen können, mich selber wieder in die Klinik einweisen zu lassen. Meine Verzweiflung, meine Todessehnsucht und das ständige Weinen, die Kraftlosigkeit, diese fehlende Energie haben mich dann irgendwann einsehen lassen, dass ich Hilfe brauchte. Klar hatte ich riesige Angst davor, mich nochmal auf eine Therapie einzulassen, aber irgendwie war da auch die Hoffnung, dass es doch noch einen Ausweg gibt. Und beim ersten Mal hatte es mir ja auch geholfen.
Ich bin irgendwann einfach wieder hingefahren und habe mit dem Klinikchef gesprochen. Ich weiß noch wie ich Angst hatte, dass die mich nicht nehmen würden, weil ich ja nicht offensichtlich krank wäre. Beim ersten Mal war ich ja augenscheinlich zu dünn, diesmal sah ich ganz normal aus... Aber die Sorgen waren völlig unbegründet, ich habe innerhalb von zwei Wochen einen Platz dort bekommen, Dank auch an meine Krankenkasse! Ich war wohl doch fertig genug, um schnell eingewiesen zu werden.
Meine Eltern waren, glaube ich, etwas überrascht, weil sie von all dem kaum etwas mitbekommen hatten. Und wie immer stellte ich sie vor vollendete Tatsachen. Aber mir war das egal, ich konnte gerade noch für mich sorgen, für mehr hatte ich nicht mehr die Kraft. Und das Wissen, dass ich jetzt Hilfe bekam, war zu dem Zeitpunkt, als ich mich erst mal dazu entschieden hatte, tatsächlich eine Art Befreiung für mich. Jetzt würde alles gut werden, dachte ich.
Und so begann das neue Jahrtausend für mich mehr oder weniger wieder in der psychosomatischen Klinik.
Für gesunde Menschen mag das komisch klingen, aber wenn ich so darüber nachdenke, war ich zwar nach außen hin echt mutig, das Ganze noch mal anzugehen und mir Hilfe zu suchen. Aber es gab auch viele Momente und die gibt es auch heute noch, wo ich etwas härter zu mir bin und mir denke, dass in die Klinik gehen letztendlich für mich der einfachere Weg war. Ich war zu feige mein Leben in die Hand zu nehmen und anstatt arbeiten zu gehen oder etwas aus mir zu machen, habe ich mich lieber für weitere Monate versteckt und vor wichtigen Entscheidungen in meinem Leben gedrückt. Aber was soll`s, ich habe diesen Umweg wohl gebraucht und es war immer noch besser, als einfach so weiter zu machen wie bis dahin.
Teil 4
Wieder in der Klinik
Ob es so gut war, wieder in die gleiche Klinik zu gehen, kann ich nicht sagen, es gab vieles, was dafür gesprochen hatte. Da ich mich hier auskannte, jeden Raum schon kannte und auch wusste, wie hier in etwa der Ablauf sein würde, schaffte ich es wahrscheinlich überhaupt, mich nochmal in die Hände der Therapeuten zu begeben. Aber das Konzept der Klinik war ein anderes geworden. Als ich das erste Mal wegen Magersucht hier war, waren die Regeln sehr viel strenger. Damals hieß die Devise: Nehmt den Süchtigen die Suchtmittel weg, dann kommt das zum Vorschein, was dahinter steht. Wenn eine Magersüchtige ihre Emotionen nicht mehr durch Hungern ausmerzen kann, sie nicht mehr spürt, weil der Hunger alles andere übertönt. Wenn der Esssüchtige keine Mengen an Süßigkeiten oder Essen bekommt, mit dem er seine Sorgen in sich rein futtern kann, wenn eine Bulimikerin nicht mehr kotzen kann, um sich selber nicht mehr wahrnehmen zu müssen, dann kommen die echten Gefühle, die Enttäuschung, der Schmerz, die Wut, die Unsicherheiten, die Ängste und alles andere, was da im Verborgenen schlummert, an die Oberfläche und dann kann ein Therapeut zusammen mit dem Patienten daran arbeiten.
Diesmal war es anders, das Team hatte wohl gewechselt, vielleicht war aber auch gerade ein anderer Behandlungsweg in Mode, keine Ahnung. Diesmal jedenfalls lautete das Konzept grob gesagt so: Lasst den Süchtigen ihre Suchtmittel und arbeitet erst mit ihnen, dann kommt der Erfolg von ganz allein. Das heißt wir Bulimiker durften, wenn auch einigermaßen heimlich, weiter fressen und kotzen, weil die Theorie die war, dass wir damit aufhören würden, wenn die Therapie Erfolg zeigte. Vielleicht war das der sanftere Weg und ich kann jetzt, 15 Jahre später bestätigen, dass es tatsächlich so ist, dass das Suchtmittel zur Nebensache wird, wenn man anfängt, andere Wege im Leben einzuschlagen, wenn man nach und nach das Essen oder nicht Essen mit Dingen ersetzt, die einem gefallen, die einem gut tun, die einen auf andere Weise beschäftigen. Je mehr ich zu mir gekommen bin, desto weniger habe ich meine Sucht gebraucht.
Es
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