Manchmal muss es eben Mord sein
aus dem Loch. Zu dritt zogen sie einige Matten Kunstrasen vom Anhänger, kleideten damit die Grube aus und bedeckten den Erdhügel.
»Das sieht alles so normal aus«, sagte die Kommissarin, »so …«
»So friedlich«, ergänzte Elfie, »friedlich und ordentlich. Und in ein paar Monaten sieht es dann so aus.«
Sie deutete auf Ludwigs Grab.
»Erzählen Sie mir von Ludwig«, sagte die Kommissarin.
Elfie zögerte, aber vielleicht war jetzt der richtige Moment gekommen.
Ja, das Grablicht flackerte. Elfie suchte nach den passenden Worten.
»Wir kannten uns von klein auf und waren einfach füreinander bestimmt – wie zwei Teile eines Ganzen. Wir brauchten keine Worte, um uns zu verstehen. Wir waren verlobt und wollten heiraten, sobald Ludwig seinen Doktor gemacht hatte. Er war ein begabter Physiker und ging völlig in der Forschung auf. Aber er war auch sehr sensibel, immer unsicher, ob er auf dem richtigen Weg war mit seiner Arbeit. Einige Kollegen am Lehrstuhl konnten ihn nicht leiden und beschimpften ihn als Streber, weil er ihnen von den Professoren ständig als leuchtendes Vorbild unter die Nase gerieben wurde. Einer der Doktoranden tat sich besonders hervor und schikanierte Ludwig, wo er nur konnte. Als er dann Ludwigs Forschungsergebnisse stahl und sie als seineausgab – und sich niemand auf Ludwigs Seite schlug und ihm glaubte –, brach für ihn die Welt zusammen.«
Elfie musste sich einen Moment sammeln, bevor sie weitersprach. Auch nach so langer Zeit schmerzte die Erinnerung immer noch. Doch zugleich hatte es etwas Befreiendes, endlich mit jemandem über die Ereignisse von damals zu sprechen.
»Er war völlig außer sich, fühlte sich in allem, wofür er lebte, in Frage gestellt, in seiner Existenz bedroht. Und ich konnte ihm nicht helfen.«
Elfie musste schlucken, konnte die Tränen gerade noch zurückhalten.
»Ich war auf einem Lehrgang und den ganzen Tag telefonisch nicht zu erreichen. Abends kam dann der Anruf, dass er sich vom Dach des Physikalischen Instituts gestürzt hatte. Er war sofort tot.«
Jetzt hatten sich doch ein paar Tränen ihren Weg gebahnt. Elfie versuchte, sie wegzublinzeln, um wieder freien Blick auf Ludwig zu haben.
Dann spürte sie Alex’ Hand auf ihrem Arm. Ohne sich zu ihr umzuwenden, legte Elfie ihre Hand auf die von Alex und drückte sie sanft. Eine Weile verharrten beide reglos. Dann lösten sie sich wieder voneinander.
»Das muss furchtbar für Sie gewesen sein«, sagte Alex mitfühlend.
»Ja, ich habe lange gebraucht, bis ich mein Leben wieder einigermaßen im Griff hatte. Seitdem reagiere ich allergisch auf jede Art von Ungerechtigkeit. Immer, wenn jemand schikaniert wird, muss ich an Ludwig denken. Deswegen habe ich es mir auch zur Aufgabe gemacht, für Ordnung zu sorgen. Denn das ist der erste Schritt zur Harmonie. Ich möchte einfach, dass sich alle wohl fühlen.«
Elfie spürte jetzt Alex’ prüfenden Blick auf sich, wandte jedoch nicht den Kopf zu ihr, sondern sprach in Ludwigs Richtung weiter.
»Leider gibt es sehr viel Ungerechtigkeit auf der Welt. Aber man muss sich dagegen wehren. Wissen Sie, ich hatte auch mal einen Chef, der mich nicht leiden konnte.«
Jetzt drehte Elfie sich auf der Bank und sah Alex fest in die Augen.
»Nichts konnte ich ihm recht machen, ständig hat er mich vor der ganzen Abteilung bloßgestellt. Es war die Hölle.«
Mit Schaudern dachte Elfie an Werner Borchers zurück. Dabei fiel ihr auf, dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit Windisch besessen hatte – der gleiche aalglatte Typ, der sich für unwiderstehlich hielt.
Als Alex sie erwartungsvoll anschaute, fuhr Elfie fort.
»Eines Abends nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und wartete vor der Firma auf ihn, um ihn zur Rede zu stellen. Wir gerieten in Streit. Dann wollte er die Diskussion abbrechen, drehte sich abrupt um und lief direkt auf die Straße. Der arme Lkw-Fahrer konnte nicht mehr bremsen.«
Alex sah sie irgendwie irritiert an. Doch Elfie konzentrierte sich weiter auf ihre Erinnerungen.
Zunächst hatte sie in ihrem burgunderfarbenen Pulli völlig geschockt dagestanden. Doch dieses Gefühl war langsam einer grenzenlosen Erleichterung gewichen. Und als sie dann merkte, dass nicht nur sie, sondern die ganze Abteilung unter Borchers gelitten hatte und nun froh war, ihn los zu sein, wertete sie den Unfall als glückliche Fügung.
»Haben Sie sich schuldig gefühlt?«, wollte Alex wissen.
In ihrem Blick lag nun neben Mitgefühl auch ein gewisser Zweifel.
»Im
Weitere Kostenlose Bücher