Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mandels Buero

Mandels Buero

Titel: Mandels Buero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
Vom Netzwerk:
Stoiker war, der jede Form von Sturm, Drang und Penetranz ablehnte, besaß er einen unwiderlegbaren Instinkt dafür, wann er die Dinge selbst in die Hand nehmen musste. Jeder andere hat in der Situation automatisch eine egoistische Eskapade vom Tilmann angenommen, wäre ja auch nicht die erste in der Bandgeschichte gewesen, aber der Mandel nicht. Der Mandel erinnerte sich nämlich an die Details, die ihm der Tilmann vor dem Konzert erzählt hatte. Von den Songs des Zugabenteils, wie der Tilmann die Texte modernisiert hatte, dass die Band zehn Jahre nach Erscheinen das erste Mal wieder »Totengräber« spielen würde, und überhaupt hatte er sich am meisten auf den Zugabenteil gefreut. Das deutete nicht darauf hin, dass dem Tilmann spontan die Lust an dem Konzert vergangen war. Und so folgte der Mandel seinem Instinkt hinter die Bühne. Die wenigen Leute, die noch im Saal verblieben waren, sahen, wie der Mandel auf die Bühne stieg, zum zweiten Mal an dem Abend. Er blieb vor dem Schlagzeug stehen und sah sich um. Links, rechts. In seinem schwarzen Mantel muss er ein bisschen ausgesehen haben wie ein Cowboy, der sich in der Mittagshitze auf der Hauptstraße einer Goldgräberstadt umblickt, wo die letzten Leute gerade die Flucht in ihre Häuser antreten, bevor die Schießerei anfängt. Der Mandel beobachtete die Roadies, die schnell und mechanisch das Werkzeug der Band wegschafften. Er verließ die Bühne rechts über den schmalen Aufgang und stand dann hinter dem riesigen Molton-Vorhang. Dahinter war noch eine Menge Platz, die Bühne stand nicht am hinteren Ende des Saals. Rechts zweigte ein kleiner Gang ab, den der Mandel heute schon einmal mit dem Tilmann entlanggelaufen war. Nach ein paar Metern den Gang hinunter gelangte er zu zwei Türen auf der rechten Seite. Die eine war die zum Klo, und auf der anderen stand mit Edding auf einem weißen Zettel DEMO . Dort war er früher am Abend mit dem Tilmann zur Drogeneinnahme gewesen. Der Mandel klopfte und öffnete gleichzeitig die Tür, ohne ein Herein abzuwarten. Jemand saß mit nacktem, rotem Oberkörper und einem Handtuch über dem Kopf auf einem Stuhl, in der einen Hand eine Wasserflasche, in der anderen eine Schüssel mit Mousse au Chocolat. Auf der Brust hatte das Handtuch Schredder eintätowiert . In altdeutscher Schrift auf wabbeliger Haut.
    »Hey«, sagte der Schredder.
    »Selber hey«, sagte der Mandel und lächelte. »Habt ihr den Leo schon gefunden?«
    »Ach, der Leo. Dem ist wahrscheinlich nur sein Waschpulver zu Kopf gestiegen. Macht ihn ja von Jahr zu Jahr verrückter«, sagte der Schredder und lächelte dabei schief, aber gutmütig. Dem Schredder fehlte ein Vorderzahn, und dann das rote Gesicht, das schiefe Lächeln und die merkwürdige Tätowierung. Ein putziger Freak, dachte der Mandel. Auf dem Stehtisch, wo der Tilmann vor ein paar Stunden noch das Kokain zerteilt hatte, stand ein Asthmaspray. Das sah der Mandel sofort, weil er das von den Interviews mit Alice Cooper her kannte. Schwerer Asthma-Patient, der Alice Cooper.
    »Wo sind denn die anderen?«, fragte der Mandel
    »Kretsch ist schon auf dem Weg nach Hause, und Kai läuft hier irgendwo rum.«
    »Keine Ahnung, wo der Leo sein könnte?«, fragte der Mandel.
    »Keinen Schimmer. Im Royal? Im Poschardt? Na, irgendwo wird er sich’s schon gutgehen lassen«, sagte der Schredder.
    »Bist du nicht besorgt?«
    »Na ja, er ist halt ne Flitzpiepe. Wird sich schon wieder einkriegen. Kai ist nur stinksauer.«
    Der Schredder sah nicht so aus, als beunruhigte ihn das.
    »Was brauchst du denn vom Leo? Kann ich dir helfen?«
    »Nein, schon gut, ich hätte nur was von ihm wissen wollen. Für die Reportage.«
    »Das war ein gutes Konzert«, sagte der Schredder. »Du warst echt gut.«
    »Äh, danke. Du, ich muss jetzt los. Bis später«, sagte der Mandel und winkte dem Schredder nochmal, bevor er die Tür wieder zuzog. Er ging den Gang weiter, bis er ins Treppenhaus gelangte, wo gerade zwei der Roadies ein paar dieser Transportkoffer mit Aluminiumbeschlägen, im Fachjargon »Flightcases« genannt, in den Aufzug hievten. Der Mandel schaute den Roadies zu, wie sie mit dem Aufzug nach unten fuhren. Er holte sein Telefon aus der Manteltasche und starrte eine Weile darauf. Zwei weitere Roadies kamen und rollten ein noch größeres Flightcase. Beim Mandel blieben sie stehen und warteten auf den Aufzug. Einer lange Haare, einer keine.
    Der Mandel wartete. Der Aufzug kam nur langsam. Auch wenn sie den Kunstpalast von vorne

Weitere Kostenlose Bücher