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Mandels Buero

Mandels Buero

Titel: Mandels Buero
Autoren: Berni Mayer
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weg. Der Pickelige humpelte, und der Wulstige mit dem Mittelscheitel war sicher kein Experte auf die hundert Meter. Ich stellte mich auf das Brett und fand keine Pedale und keinen Anlasser. Die blonde Frau schrie mich auf Englisch an.
    »Get the fuck off my bike!«
    Sie wusste offensichtlich auch nicht, wie man das Zweirad nannte. Man kann es natürlich anhand von so wenigen Vokabeln nicht genau sagen, aber ich glaube, ich lag mit meiner Vermutung gar nicht so falsch. Da war schon ein australischer Akzent. Ich war an der Uni mal mit einer aus Brisbane zusammen gewesen, was heißt zusammen, also wir haben uns nach den Wohnheimfesten noch hin und wieder in meinen zwölf Quadratmetern zusammengetan. Felicity hat sie geheißen. Und seitdem weiß ich genau, wie ein australischer Akzent klingt. Wenn ein Australier beispielsweise »Steak« sagt, dann klingt das wie »Staik«. Aber auch von der Melodie unterscheidet sich das australische Englisch sehr vom amerikanischen beispielsweise, und das lässt sich auch an einem kurzen »Get the fuck off my bike« festmachen, wenn man gut ist. Der Mittelscheitel schoss in die Luft, und die Australier warfen sich auf den Boden.
    »Ich kann nicht fahren!«, schrie ich den Mandel an.
    »Lehn dich nach vorne, so gibst du Gas. Aber erst, wenn der Infokey grün leuchtet«, rief der Mandel, der schon Fahrt aufgenommen hatte.
    »Was für ein Infokey?« Ich lehnte mich nach vorne in die Stange. Das Ding fuhr nach einer kurzen Verzögerung los. Ein kleiner Computer, der eigentlich eher wie eine Armbanduhr aussah, war an der Lenkstange festgeschnallt und ließ die Stundenkilometer in der Anzeige nach oben schnellen. Na ja, schnellen ist vielleicht zu viel gesagt.
    »Wie lenke ich?«
    »In die Kurve lehnen«, rief der Mandel.
    »Woher weißt du das alles?«
    »Hab mal einen bei einer Platinverleihung Probe gefahren.«
    »Bei einer Platinverleihung?«
    »Jetzt beeil dich, Sigi.«
    Was für ein Bild: Zwei ramponierte Typen, einer davon mit Loch im Bauch, stottern mit Zweirädern über den Parkplatz vom Nazi-Spaßbad, und hinter ihnen humpeln ein Pickeliger mit einem Messer und ein wulstiger Mensch mit einem ganz akkuraten Mittelscheitel und einer Pistole her. Und hinter denen wiederum traben die australischen Touristen, in der vagen Hoffnung, ihre Zweiräder wiederzubekommen. Schnell waren die Trittbretter nicht, aber mit den lädierten Rechtsekzemen konnten sie es aufnehmen, wir machten anfangs sogar ein paar Meter gut. Der Mittelscheitel war genervt und schoss jetzt doch in unsere Richtung, traf aber nicht. Der Mandel wirkte trotz der Schüsse, als hätte er Freude am Beruf, so aufrecht und konzentriert, wie er auf seinem Brett stand, während ich jeden Moment eine Kugel in meinen Rücken einschlagen und mir die Wirbelsäule zerfetzen sah. Nachdem wir fast die gesamte Freifläche vor dem Koloss abgefahren hatten, gaben der Scheitel und der Pickelige die Verfolgung auf, und es war offensichtlich, dass sie gleich mit dem schwarzen Jeep neben uns auftauchen würden. Aber der Mandel dachte mit und bog nach dem Koloss links zu dem Kiefernwald am Strand ab. Der Pickelige schrie uns irgendetwas hinterher.
    Durch den Kiefernwald verlief ein sandiger Weg am Strand entlang in Richtung Binz. Weit konnte der Ort nicht weg sein, gemessen an der kurzen Autofahrt zum Seebad heute Morgen. Mir war schwindelig, und der Bauch tat mir weh. Der Verband vom Mandel saß zu locker, und mir war eiskalt.
    »Mein Bauch«, sagte ich.
    »Sigi, du musst dich jetzt zusammenreißen«, sagte der Mandel und redete sich wie immer leicht.
    Schon ein paar Hundert Meter weiter hörten wir, wie der Jeep durch den Wald röhrte.
    »Die kommen von der Hauptstraße«, stellte der Mandel fest.
    »Was machen wir denn jetzt?«, schrie ich ihn an.
    »Absteigen.«
    Der Mandel bremste sein Zweirad und stieg ab.
    »Wie bremst man?«
    »Einfach zurücklehnen«, sagte der Mandel, aber da war ich schon gegen den Baum gefahren.
    »Komm jetzt, Sigi. Es pressiert«, rief der Mandel und sprang den kleinen Hang hinunter zum Strand, lief fast bis zum Wasser und legte sich hinter ein weiß gestrichenes Holzboot. Ich hinterher.
    »Schneller!«, schrie der Mandel, und mir fiel auf, dass ich den Mandel eigentlich bis zu dem Tag nie hatte schreien hören. Es war interessant, weil seine Stimme fast eine Oktave höher war, wenn er schrie. Das Hypnotische an ihm war weg. Ich warf mich zum Mandel hinter das weiße Boot.
    »Die finden doch jetzt unsere Räder und
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