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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Fotos.
    »Das ist alles?« fragte Walter.
    »Alles.«
    »Darf ich aus reiner Neugier fragen«, sagte Walter, »warum Sie diese
Dinge aufbewahrt haben?«
    »Sie haben mich an eine Zeit erinnert, als mich jemand liebte«, sagte
McGuire mit einem Schulterzucken. »Nicht die Idee von mir.«
    »Lieben Sie sie?«
    »Nein.«
    »Sie lieben die Idee von ihr.“
    »Wahrscheinlich.«
    McGuire setzte sich wieder auf die Matratze. »Sie
hat mich gebeten, Sie zu retten«, sagte Walter. »Mich zu retten?« Walter
nickte.
    »Vielleicht haben Sie es«, sagte McGuire. »Ich
hoffe es.«
    »Was ist mit Ihnen?« fragte McGuire. »Was machen Ihre Herzschmerzen?
Sind Sie mit denen schon zu Rande gekommen?«
    »Noch nicht ganz.«
    »Nun, wenn es etwas gibt, was ich tun kann...“
    »Ach, wissen Sie...«
    Madeleine Keneally sah schrecklich aus. Ihr Teint war bleich, ihre
Augen gerötet und verquollen. Trotzdem wirkte sie in ihrem grauen Kleid und der
Perlenkette noch elegant, als hätte sie schon erwartet, daß Walter Withers
anrief und sagte, er werde sie in ihrer Suite im Pierre besuchen.
    »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht«, sagte Walter, als er sich in der
französischen Inneneinrichtung umsah, »aber ich finde, daß Deutschland
Frankreich behalten sollte, wenn es seinen Nachbarn das nächste Mal erobert.«
    Sie machte ein Gesicht entzückten Entsetzens und schimpfte: »Wie
können Sie nur etwas so Schreckliches sagen, Walter Withers!«
    »Sie haben geweint«, konstatierte Walter.
    »Sieht man mir das so deutlich an?«
    »Nur bei Tageslicht.«
    »Dann gehe ich bis zum Abend nicht aus«, erwiderte Madeleine. »Wollen
Sie sich nicht setzen?«
    Er überreichte ihr den Schuhkarton und sagte: »Ich habe Ihnen ein
Geschenk mitgebracht, um Sie aufzumuntern.«
    Sie nahm den Karton. Ihre Hände zitterten nur leicht, als sie ihn
aufmachte und den Inhalt überflog. Sie betrachtete lange Zeit die Briefe,
obwohl Walter nicht erkennen konnte, ob sie in Erinnerungen versunken war oder
Bedauern.
    Schließlich sagte sie: »Walter Withers, Sie lieber Mann.«
    »Sie sollten sie verbrennen«, sagte Walter. »Stolpern Sie nicht in die
sentimentale Falle, sie aufzubewahren.«
    »Wie kann ich Ihnen je danken?«
    »Sie können mir die Wahrheit sagen«, erwiderte er.
    »Worüber?«
    Doch da war ein Unterton in der Frage, ein Unterton von Furcht, und
was hörte er da noch heraus, fragte er sich... Unausweichlichkeit?
    »An dem Morgen, am dem Marta starb, waren Sie in ihrem Zimmer, nicht
wahr?« fragte er.
    Sie nickte. Langsam, traurig.
    »Warum?« fragte Walter.
    Ihre Stimme war so gedämpft, daß er sich anstrengen mußte, sie zu
verstehen, als sie sagte: »Gott steh mir bei, Walter, ich glaube, ich habe sie
getötet.«
    Er sagte nichts. Er wartete darauf, daß sie fortfuhr, denn er wußte,
daß man ein Geständnis nicht unterbrechen darf.
    »Ich bin hingegangen, um sie zur Rede zu stellen«, sagte sie. Ihr
Tonfall war so weich wie das Sonnenlicht, das durch die Leinenvorhänge ins
Zimmer sickerte. »Ich weiß nicht, warum — der Himmel weiß, daß es vorher schon
andere Frauen gegeben hatte -, aber sie schien mir gefährlicher zu sein,
bedrohlicher, eher eine Geliebte als eine kurze Affäre, und während ich das
Gefühl hatte, eine Affäre tolerieren zu können ... vielleicht war es die Gefahr
einer öffentlichen Demütigung, die ich nicht ertragen konnte.
    Als ich vor ihrem Zimmer stand, erwartete ich schon halb, Sie dort
vorzufinden, und darauf war ich auch eifersüchtig. Immerhin hatte sie Sie auf
der Tanzfläche praktisch vergewaltigt. Doch sie war allein und so betrunken,
daß sie eine Ewigkeit brauchte, um an die Tür zu kommen.
    Dieser Körper, Walter. Ich glaube schon, auf
praktische Weise einigermaßen hübsch zu sein, doch als ich neben Marta stand,
fühlte ich mich wie ein unbeholfenes Mädchen. Sie in diesem Morgenmantel. Mein Gott,
Walter, ich konnte ihn an ihr riechen.
    Ich wußte nur, daß ich es im Schlafzimmer nie mit ihr würde aufnehmen
können. Ich wußte, daß Joe sie immer würde haben wollen. Jeder Mann würde sie
haben wollen. Ich fühlte mich so affektiert und züchtig und lächerlich, wie ich in meinem kleinen Sonntagskostüm dastand, mit Hut und
Handschuhen, und sie war praktisch nackt und so ... so verführerisch.«
    In Hut und Handschuhen, dachte
Walter.
    »Ich habe ihr schreckliche Dinge gesagt, Walter«, flüsterte Madeleine
und begann jetzt mit beherrschten kleinen Schluchzern zu weinen. »Schauerliche,
scheußliche Dinge.

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