Manhattan Blues
Martinos zwei gebrochenen Daumen wußte. Wissen Sie übrigens,
wo er die her hat?«
»Nein.«
»Also«, begann Walter, »als Paulie noch ein kleiner Shylock war,
schickte Albert D'Annunzio Paulie los, um einem Spieler namens Angelo Gagliano,
der mit seinen Zahlungen im Rückstand war, einen Daumen zu brechen. Angelo und
Paulie waren befreundet, so daß Paulie ihn nur streng ins Gebet nahm. Als
Albert D'Annunzio herausfand, daß Paulie seine Anweisungen mißachtet hatte,
verdoppelte er Angelos Strafe und ließ sie an Paulie vollstrecken. Ich kann mir
vorstellen, daß es weh tat, Sie auch?«
»Woher wissen Sie all das?« fragte McGuire. »Sie sehen nicht aus wie
ein Ganove.«
»Ich habe schon Football-Wetten verloren, bevor Sie nur einen Ball für
Columbia geschlagen haben«, entgegnete Walter. »Wer hat Sie
zusammengeschlagen?«
»Zwei von Martinos Jungs.«
Am Weihnachtstag, dachte Walter. Es ergab jedoch einen Sinn. Die Jungs
des Mobs langweilten sich oft an Feiertagen. Sie waren keine wirklichen
Familienmenschen, und es konnte sein, daß sie eine Ausrede erfunden hatten, um
nach dem Dinner aus dem Haus gehen zu können.
»Wieviel schulden Sie ihm?« fragte Walter.
»Zweitausend.“
»Wieviel davon sind Zinsen?« fragte Walter. »Etwas mehr als die
Hälfte.“
»Und es wird jeden Tag mehr.“
»Und es wird jeden Tag mehr.«
»Footballspieler sind verdammt miserable Football-Wetter«, sagte
Walter. »Stimmt das?«
»Es hat den Anschein«, sagte Walter und lächelte. »Tatsächlich sind
nur Schriftsteller noch schlechtere Wetter als Ex-Spieler.«
McGuire lachte und nahm einen weiteren Schluck Bier. Er wühlte in
seinen Hosentaschen und zog ein paar rote Pillen heraus.
»Als Schriftsteller tauge ich in der letzten Zeit auch nicht mehr
viel«, sagte McGuire. »Wollen Sie wissen, was das Beste und das Schlimmste war,
das mir je widerfahren ist?«
»Nicht unbedingt.«
»Die New York Times hat mich
ein Genie genannt«, erwiderte McGuire. »Die Stimme meiner Generation. Der
>Beat<-Generation. Das war das Beste und das Schlimmste zugleich. Der
etatmäßige Kritiker war im Urlaub, haben Sie das gewußt? Ein Urlaubsvertreter hat
über mein Buch geschrieben. Ein blöder Zufall. Macht mich berühmt, und damit
war die Sache vorbei.«
»Vorbei?« fragte Walter.
McGuire erklärte: »Verstehen Sie, wenn die Times irgendwas
bemerkt, ist es damit schon lange vorbei. Ein Buch ist wie das Licht von einem
fernen Stern, Mann. Wenn man ihn sieht, ist er schon längst tot.«
Du mußtest also erst herausfinden, wie du verlieren kannst, dachte
Walter. Du schreibst ein Buch über die »Beat«-Generation, das zu einem riesigen
Erfolg wird, und der Widerspruch ist unerträglich. Du bist ein Star des Establishments,
weil du ein Rebell gegen das Establishment bist, und was fängst du dann mit dir
an? Ein ehrlicher Mann kann wohl nur eins tun, nämlich das Geld nehmen und
alles bei einer dummen Wette verlieren.
Um wieder geschlagen zu werden.
»Wieso sind Sie wirklich hier?« fragte McGuire.
»Ich habe Ihr Buch gelesen«, erwiderte Walter.
Eine Antwort, die nur ein Schriftsteller akzeptieren würde, dachte er.
Nur das Ego eines Autors kann glauben, daß eine Motte ausgerechnet von dem
strahlenden Licht seines Talents angezogen wird.
Walter fügte hinzu: »Es hat mein Leben verändert.«
Was heißen sollte, daß er sich mehrere Stunden tödlich gelangweilt
hatte, statt einen sonst angenehmen Sonntagabend zu verbringen. McGuire sah
Walters Tweedanzug an, die polierten Bancroft-Schuhe, die Gordon-Krawatte und
grinste schief. »Ja, es hat Ihr Leben verändert.«
Walter fügte hinzu: »Ich würde Ihnen gern helfen.«
»Haben Sie zwei Riesen für mich?« fragte McGuire.
»Nein«, sagte Walter.
»Wie können Sie dann helfen?«
Vorwurfsvolle Worte, wie Walter bemerkte, aber immer noch klingt die
schwache Hoffnung des ertrinkenden Mannes durch, daß die nächste Welle
vielleicht eine Planke heranspült, an die er sich klammern kann. Und
Schriftsteller, Gott segne sie, glauben an Möglichkeiten. Glauben an die Gerechtigkeit
ihrer Erlösung. Glauben an die Realität von Illusionen. Und die erste Illusion
gerade dieses Schriftstellers besteht darin, daß das Hinkritzeln eines Romans,
der literarisch einem ausgedehnten Masturbationsakt gleichkommt, ihm bestimmte
Rechte gibt. Und die Grundregel bei der Anwerbung des Gegners lautet, daß man
die Natur seiner Illusionen erkennen muß und ihn nie mit der Realität
enttäuschen darf.
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