Manhattan Blues
aus, wie sie da im Flur stand.
»Ich habe Ihnen ein Geschenk mitgebracht«, sagte sie. Sie hielt ihm
das Päckchen hin wie eine Opfergabe.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte er, als er ihr den
Mantel abnahm. Er hängte ihn in der Garderobe auf, und sie setzte sich aufs
Sofa.
»Haben Sie gerade getrunken, Mr. Withers?«
»Ja, und bitte nennen Sie mich Walter«, erwiderte er. »Soll ich das
jetzt aufmachen?«
Es war eine Schachtel mit Godiva-Pralinen. Sie hatte sie wohl von
jemandem geschenkt bekommen, und in der Eile war ihr nichts Besseres
eingefallen.
»Sie ist schön«, sagte Madeleine traurig. »Und sehr sexy, wie ein
Filmstar.«
»Wer?«
Ihre Augen wurden zornig. »Ihre Marta.«
»Ich bin nicht so sicher, ob sie meine Marta ist«, sagte er.
»Ist sie wunderbar?«
»Was meinen Sie?« fragte er zurück.
»Sie wissen, was ich meine.«
»Die Nocturnes von Chopin«, antwortete er und nickte in Richtung der
Lautsprecher. »Gefallen sie Ihnen?«
Sie schwiegen einige Momente und hörten der Musik zu.
»Wie haben Sie es geschafft, am Weihnachtstag wegzukommen?« fragte
er.
»Ich habe einfach gesagt, daß ich Walter Withers ein Geschenk bringen
will«, sagte sie. »Das hielten alle für eine wundervolle Idee.«
»Der Senator auch?«
Sie sah verwirrt aus. »Ja. Warum haben Sie getrunken, Walter?«
»Ich finde diesen Feiertag ziemlich traurig.“
»Alle Geschenke sind ausgepackt, und Sie sitzen hier ganz allein?«
fragte sie.
»So ungefähr«, sagte er. »Warum sind Sie wirklich hier, Mrs. Keneally?“
»Madeleine.«
»Warum sind Sie wirklich hier, Madeleine?«
»Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
Hoffentlich bist du nicht gekommen, um mir Fragen nach deinem Mann und
Marta Marlund zu stellen. Ich bin zu betrunken, um zu lügen, aber nicht
betrunken genug, um die Wahrheit zu sagen.
Sie sagte: »Vielleicht wollte ich Sie nur noch einmal sagen hören, daß
ich eine nette Person bin.«
»Sie sind auch heute eine nette Person«, sagte er. »Vielleicht
wollten Sie mir auch etwas über sich und Sean McGuire erzählen.«
Sie biß sich auf die Lippe und fragte: »Sieht man es mir so deutlich
an?«
»Keine Angst«, sagte er. »Nur der Schatten weiß Bescheid.«
Er stand auf, ging in die Küche und machte eine Flasche mit gutem
Rotwein auf. Er goß ihr ein Glas ein, weitere zwei Fingerbreit Whiskey für sich
und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Ich habe ihn leider nicht dekantieren können«, sagte er und reichte
ihr den Wein. »Bitte halten Sie mich nicht für einen Priester, obwohl ich
Schnaps trinke.«
»Ich bin nicht gekommen, um Absolution zu erhalten.«
Trotzdem erzählte sie ihm alles.
Sie sei Kunststudentin gewesen, als sie sich kennenlernten. Sie war in
die Stadt gekommen, um dem Schloßturm zu entfliehen und sich eine Zeitlang von
den goldenen Ketten zu befreien. Sie hatte sich gründlich getummelt, war in die
Boheme abgetaucht, hatte die Teepartys des Smith College mit schmuddeligen
Kaffeehäusern vertauscht, die Salons von Newport mit Buden im Village. Und Sean
McGuires Bett.
»Ich liebte ihn«, flüsterte sie Walter zu. »Er sah gut aus, war gefährlich
und spielte nicht Tennis. Wir hatten unsere Affäre auf nackten Matratzen in
geliehenen Lofts.«
»Ich möchte wirklich nicht hören, wie...«
»Und dann stieg er in ein Auto und verschwand und brach mir das Herz,
und ich stand wie eine dumme Gans da«, sagte sie. »Als Sean zwei Jahre später
zurückkam, kannte ich Joe schon, doch Sean wollte mich wiederhaben. Ich sagte
ihm, es sei vorbei. Er sagte, er liebe mich. Ich erklärte ihm, ich hätte mich
in Joe verliebt. Er sagte, das sei ihm egal. Er ließ mich einfach nicht in
Ruhe. Er folgt mir bis heute, kreuzt überall auf. Ich habe Angst vor ihm.«
»Haben Sie es dem Senator erzählt?«
Sie schüttelte den Kopf.»Ich fürchte, er hat einen Verdacht«, sagte
sie. »Wenn er wüßte, daß ich eine Affäre mit Sean
gehabt habe, würde er es nicht ertragen, noch bei mir zu bleiben.«
Walter fühlte sich versucht, ihr die Wahrheit über Marta zu erzählen,
verkniff es sich aber. Weder sie noch Keneally würden die Symmetrie erkennen.
Sie fügte hinzu: »Und ich habe Angst vor dem, was er tun würde.«
»Würde er Ihnen etwas antun?« fragte Walter. »Sean, nein“, erwiderte
sie. »Ich habe Angst, Joe würde ihn verprügeln oder...«
»Ihn verprügeln lassen?« fragte Walter. Oder ihm
noch Schlimmeres antun, dachte er. Madeleine fing an: »Und dann, so
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