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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Entscheidungen
treffen, gelten meist als »entscheidungsfreudig«, wie
Withers senior zu sagen pflegte. Ich nenne sie dumm. Triff nie eine
Entscheidung vor dem allerletzten möglichen Augenblick, in dem du die denkbar
meisten Informationen zur Verfügung hast.
     
    Walters Taxi fuhr gerade vor Annes Haus vor, als er
sie aus dem Gebäude kommen, nach links und rechts blicken und in ein wartendes
Taxi einsteigen sah.
    »Ich hasse es fast, diese Worte zu äußern«, sagte Walter zum dem
Fahrer, »aber folgen Sie bitte diesem Wagen da.«
    Es würde ein kleiner, aber köstlicher Scherz sein. Anne hatte es sich
offenbar anders überlegt und war auf dem Weg zu seiner Wohnung. Er würde hinter
ihr aus dem Taxi springen und sich einen Spaß daraus machen.
    Allerdings fuhr ihr Taxi auf der 14. Straße nicht nach Osten, sondern
nach Westen. Weg von seiner Wohnung.
    Außerdem war da eine bestimmte Aura um sie gewesen, als sie die Treppe
herunterkam. Unschuldig, als er es bemerkte, doch jetzt wurde es verdächtig.
Die scharfen Blicke, ob jemand sie sah? Ihre untypische Eile —Anne hatte es
nie eilig—, um ins Taxi zu kommen? Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, der sich nur
als verschlagen beschreiben ließ?
    Sie hatte, wie Walter mit Bedauern feststellte, etwas von einem
Michael Howard an sich. Den Ausdruck der Untreue.
    Und so würde er ihr jetzt folgen, so wie er Michael Howard gefolgt
war, wenn auch in einem übermäßig geheizten Taxi.
    Er kauerte sich in den Sitz und fühlte sich während der langen Fahrt
zur Sixth Avenue und den Broadway hinauf wie ein schuldbewußter Narr. Dann ging
es den ganzen Weg hinauf in die Neunziger.
    Das dicke Gesicht des Fahrers grinste ihn im Rückspiegel an.
    »Trifft sich Ihr Mädchen mit einem anderen?« fragte er.
    »Halten Sie Ihren dreckigen Mund«, gab Walter zurück.
    Der Fahrer runzelte die Stirn und sagte: »Sehr viel weiter in Richtung
Harlem fahre ich nicht, Chef.«
    »Das brauchen Sie auch nicht. Halten Sie hier.«
    Anne verließ ihr Taxi an der unteren Ecke der 95. und des Broadway.
Walter bezahlte den Fahrer, gab ihm ein beleidigendes Trinkgeld und ignorierte
das gebrummelte »Frohe Weihnachten«.
    Er beobachtete, wie Anne den Broadway überquerte und auf der 95. nach
Westen ging. An dem Schirmdach des Thalia Theater las er ORSON WELLES: IM
ZEICHEN DES BÖSEN. Darunter stand in kleineren Buchstaben Charlton Heston . Anne
wirkte klein und zierlich unter den grellen Lichtern, als sie sich eine Karte
kaufte und hineinging.
    Walter überquerte ebenfalls den Broadway und wartete an der
Downtown-Ecke der Straße. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er Alicia sah,
Annes hübsche Negerfreundin aus dem Cellar. Sie hatte sich in einen dunklen
Stoffmantel gehüllt, der viel zu groß für sie war, schritt auf der anderen
Straßenseite entlang, überquerte sie in der Mitte und kaufte ebenfalls eine
Karte. Walter wartete ein paar Minuten, bis er zur Kasse ging. Dann blieb er
draußen stehen, bis er sicher war, daß der Film angefangen hatte.
    Das Kino war voll. Walter konnte sich nicht erklären, was Menschen am
Weihnachtsabend ins Kino trieb. Vielleicht hatten sie es nötig, etwas zu sehen,
was größer war als das Leben; vielleicht war es das letzte Stück Magie, das der
Tag noch zu bieten hatte, und vielleicht war es nur die richtige Zeit
auszugehen. Die Kinos machten über Weihnachten jedoch immer ein blendendes
Geschäft.
    Er stand hinter dem Vorhang am hinteren Ende des Saals und wartete,
bis seine Augen sich an die glitzernde Dunkelheit gewöhnt hatten. Anne und
Alicia saßen in der dritten Reihe am Gang des Mittelteils.
    Er erinnerte sich genau, wie er im Cellar nach Alicia gefragt hatte.
    Kennst du sie schon lange?
    Sie gehört zur Szene. Sie ist Kellnerin im Good Night.
    Lügen durch Auslassen, dachte Walter.
    Du machst mich noch eifersüchtig, wenn du mich ständig nach ihr
fragst.
    Sünden der Tat, aber welche Sünden? Und warum? fragte sich Walter.
    Also Anne möchte dich nicht sehen und geht mit einer Freundin ins
Kino, na und? sagte sich Walter. Also sagt sie, sie wolle den Tag bei ihrer
Familie auf dem Land verbringen und erwähnt nicht, daß sie mit Alicia
verabredet ist. Schließlich muß sie dir nicht alles erzählen. Also kauft sie
sich eine Karte und trifft ihre Freundin im Kino, denn
draußen ist es kalt.
    Trifft sich Ihr Mädchen mit einem anderen?
    Halten Sie Ihren dreckigen Mund.
    Er setzte sich hinten in eine Ecke und sah sich den Film an, bis es
aussah, als stünde der

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