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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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den Papst wählen, wenn er der Rezession ein
Ende machen könnte. Fünf Millionen Amerikaner sind arbeitslos, ein Drittel unserer
Industriezentren sind...«
    »Darling.« Madeleine legte ihm fürsorglich die Hand auf den Ellbogen
und brachte ihn so zum Schweigen. »Du führst heute abend keinen Wahlkampf. Und
außerdem darf Walters Begleiterin nicht wählen.«
    »Und Walters Begleiterin muß mal den Raum für kleine Begleiterinnen
aufsuchen«, sagte Marta mit einem giftigen Lächeln zu Madeleine.
    Und damit ist der Ärger hier in River City programmiert, dachte
Walter, als er ihnen die Tür aufhielt.
    Die beiden Männer folgten ihnen nicht ins Theater.
    Selbst das FBI, dachte Walter, würde Mühe haben, in der
Weihnachtswoche Karten für Music Man zu
bekommen. Außerdem würden Hoovers Erbsenzähler nicht die zehn Dollar für
fünfte Reihe Mitte herausrücken.
     
    Er genoß die Aufführung, hielt Robert Preston in der Hauptrolle für
großartig und war ganz allgemein bester Laune, als sie wieder auf die Straße
traten.
    Keneally pfiff Seventy-Six Trombones in the Big
Parade, so daß sein Atem in der kalten Luft kleine Dampfwolken bildete.
Dann hielt er kurz inne und fragte: »So, Kinder, was wollt ihr jetzt machen?«
    »Der Stork Club?« schlug Walter vor. »Oder Sardi's? Club 21?«
    »Hört sich alles wundervoll an«, sagte Marta. »Tut es«, sagte
Madeleine, »aber wißt ihr, wo ich den Abend wirklich beenden möchte?«
    Eine wahre Prinzessin, dachte Walter. Erteilt ihre Befehle in Form
einer Frage.
    »Wo denn?« fragte er pflichtschuldigst.
    »Im Rainbow Room!« verkündete sie.
    Weißt du, wo ich den Abend wirklich nicht beenden
will? dachte Walter. Im Rainbow Room.
    »Abgemacht!« sagte Keneally.
    Wie es das Vorrecht des Königs ist.
    Ein Taxi tauchte auf, und sie stiegen ein. Wie verräterisch, dachte
Walter. Wenn die Theater schließen, sind Taxis sonst kaum zu bekommen. Die
beiden grimmig dreinblickenden Figuren blieben vor Kälte zitternd zurück und
rannten jetzt los, um selbst ein Taxi zu bekommen.
    Und mich bringt das, dachte er, in eine nicht weniger unangenehme
Lage. Jetzt geht es in Gesellschaft von Joe Keneally und Madeleine Keneally und
Marta Marlund zum Rainbow Room und Anne.
     
    Für Walter Withers war der Rainbow Room der Inbegriff von New York.
Der vierundsechzig Stockwerke über dem Rockefeller Center gelegene Nachtclub
schien aus eigener Kraft in der Luft zu schweben, als wären die Gesetze der
Schwerkraft, die für den Rest der natürlichen Welt galten, für den Rainbow Room
aufgehoben worden. Die meisten Nachtclubs lagen auf Straßenniveau — man stieg
aus dem Taxi, der Portier riß die Tür auf, dann befand man sich in einem
hochklassigen Laden, der immer noch sehr zur Straße gehörte. Andere Clubs, die
aus der Prohibitionszeit übriggebliebenen früheren Kneipen, lagen im
Kellergeschoß - man ging in einen kühlen Keller hinunter und wurde buchstäblich
zu einem Teil des Untergrunds der Stadt. Der Rainbow Room lag jedoch im Himmel,
an dem wirklich einzig angemessenen Ort, und saß über der Stadt, gehörte nicht
zu ihrer Erde oder einer ihrer Straßen, sondern zu ihrer Luft.
    »Er ist fast buchstäblich ätherisch«, hatte Walter einmal über den
Rainbow Room gesagt, als er ihn Freunden von außerhalb beschrieb. »Er lebt im
Äther der Stadt. Man verläßt den Asphalt und betritt einen Fahrstuhl, der
einen nach oben sausen läßt. Man tritt aus dem Fahrstuhl und befindet sich in
diesem magischen Raum im Himmel. Ich bin überzeugt, daß die griechischen Götter
nach Manhattan gehen würden, wenn sie wieder auf die Erde kämen, und daß sie
den Rainbow Room zu ihrem neuen Olymp machen würden, in dem es sogar die
besseren Getränke gibt.«
    Der Saal selbst war voller New Yorker Paradoxa. Nachdem man
vierundsechzig Stockwerke hinaufgefahren war, mußte man wieder hinuntersteigen,
um in den Saal zu kommen. Das war wirklich klassisches Manhattan, denn man
konnte oben stehen und einen kurzen Blick auf die Menge riskieren, bevor man
die geschwungene Treppe mit ihrem polierten Chromgeländer hinunterging, wobei
man hinter dem Podium vorbeikam, so daß jeder einen Auftritt bekam, der selbst
zu einem Teil der Darbietungen wurde.
    Der Saal war die für Manhattan so typische Mischung aus warm und kühl.
Die kreisrunde Tanzfläche aus poliertem Holz war von drei Ebenen von Tischen
und Stühlen in Chrom und Schwarz umgeben. Die Tische ganz vorn hatten silbrig
glänzende Tischtücher, die vor dem

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