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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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derjenige, der mit Ihnen spricht, oder?«
    Es gibt Gelegenheiten im Leben eines Menschen, in denen eine Entscheidung klar und offensichtlich erscheint. Aber es gibt immer einen anderen Weg, einen anderen Ansatz. Deswegen mögen die meisten Menschen einen Job, bei dem es einen Chef und aufgeschriebene Regeln gibt, eine Uhrzeit, zu der man zur Arbeit erscheint, und einen festen Betrag für jede Stunde, die man geschuftet hat.
    Der Arbeiter glaubt, er habe keine Wahl , sagte mein lange verschwundener Vater immer. Er glaubt, dass sein ganzes Leben für ihn vorgeplant ist. Was den Plan angeht, hat er recht, aber er irrt, was seine Bestimmung betrifft.
    In diesem Moment im Glaskäfig wusste ich, dass die einzig mögliche Reaktion eine Links-Rechts-Kombination auf Harlows Brustkorb und Kopf war. Ich wollte ihn schlagen, obwohl ich wusste, dass mir das eine Gefängnisstrafe von endloser Dauer einbringen würde, weil ich diesen Fremden in meiner Wut mit Sicherheit töten würde. Meine Tat und sein Tod waren beschlossene Sache.
    Und dann fiel mir Bartleby, der Schreiber ein, und Melville sprach aus seinem modernden Grab und erklärte mir, dass das Schicksal nicht unausweichlich war und dieser Harlow noch mindestens einen Tag länger leben würde.

41
    Ich nahm die U-Bahn zurück zu meinem Büro in Midtown. Der vorletzte Waggon des A-Train war so leer, dass ich am Ende neben den Schiebetüren sitzen konnte. Von meinem superschlanken MP 3-Player hörte ich das Album Below the Salt von Steeleye Span, der englischen Folkband aus den 70er Jahren. Die Klänge, nasal und düster, mystisch und mysteriös, schienen zu meiner Lage zu passen und mir zu sagen, dass der Pfad meines Lebens schon seit Jahrhunderten begangen wurde, wer also war ich, mich so besonders zu fühlen?
    Warren Oh, halb Chinese, halb schwarzer Jamaikaner, war auf seinem Posten hinter dem hohen Stehpult am Eingang des Tesla Building.
    »Warren.«
    »Mr. McGill.«
    »Wie geht’s der Familie?«, fragte ich.
    »Mutter zieht zu uns.«
    »Wirklich?« Ich blieb stehen.
    »Sie ist zu gebrechlich, um sich selbst zu versorgen, und meine Tante ist im Frühjahr gestorben.«
    Unsere Blicke trafen sich. Verständnis, Mitleid und Akzeptanz unseres Schicksals wurden wortlos vermittelt. Er schenkte mir ein blasses Karibik-Lächeln, und ich nickte – der ewig pessimistische New Yorker.
    Als das elektrische Schloss klickte, stieß ich die Tür auf und erwartete Mardi zu sehen, den zarten Ausdruck von Ergebenheit in ihrem Gesicht, der mir eine kurzeRuhepause von der unwägbaren Bedrohung der Straßen New Yorks, dem fortschreitenden Alter und meiner angeborenen Negativität schenken würde.
    Die junge Ms. Bitterman saß auch hinter ihrem aschweißen Schreibtisch, doch in ihrer Miene lag kein freundliches Willkommen, sondern Hilflosigkeit. Ich wandte den Kopf dreißig Grad nach rechts und sah die Ursache ihrer milden Verzweiflung. Auf der Bank für Klienten saßen nebeneinander Aura, die Frau, die ich liebte, und Antoinette, die neueste Anführerin einer wilden Meute, die schon seit Jahrzehnten auf meiner Fährte war. Aura stand sofort auf und tat die zwei Schritte, die nötig waren, um mich zu erreichen.
    »Mr. McGill«, beschwerte sich Antoinette.
    »Sie werden einen Moment warten müssen, Ms. Lowry.« Ich nahm Auras Hand und führte sie nach draußen in den Flur.
    »Ungünstiger Zeitpunkt?«, waren ihre ersten Worte, als die Tür zu meinem Büro zugefallen war.
    »Wenn das alles wäre, würde ich keine drei Tage brauchen.«
    »Wie schlimm ist es?«
    »Baby, ich liebe dich. Das weißt du, oder?«
    Als sie lächelte, trällerte mein Herz einen hohen Ton. Als sie mich küsste, begriff ich, dass Liebe immer hier und jetzt passiert.
    »Okay«, sagte sie. »Ich gebe dir deine drei Tage.«
    Ich nahm ihre Hand und sagte: »Es ist eine wirklich schwere Zeit, Baby.«
    »Das ist es immer«, sagte sie zu meinem Herzen.
    Als Aura ging, atmete ich einen Moment lang tiefdurch, bevor ich mich zurück in die drückende Atmosphäre begab, die meine natürliche Feindin und ihren rücksichtslosen Instinkt umgab.
    Ich gab Antoinette ein Zeichen. Sie folgte mir durch den Gang zu meinem Büro. Unterwegs kamen wir an Twill vorbei, der an seinem Schreibtisch saß und telefonierte.
    »Pops«, sagte er und nickte dem privaten Agenten der Industrie zu.
    Ich grunzte einen Gruß und stapfte weiter zu meinem Büro.
    Nachdem die Raubkatze von Rutgers Platz genommen hatte, setzte ich mich hinter meinen

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