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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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lautet – im Zweifelsfall angreifen.
    Ich tänzelte geduckt vor und landete eine Kombination auf seinem Oberkörper. Der Junge schlug zurück und erwischte mich seitlich am Kopf, doch diesmal war ich vorbereitet und zahlte es ihm doppelt zurück. Ich zielte erneut auf die empfindlichen Organe, und diesmal spürte er es. Als er die Hände sinken ließ, verpasste ich ihm zwei kurze Aufwärtshaken, bevor er zurückweichen konnte. Ich hatte schon immer kräftige Beine und auch im fortgeschrittenen Alter noch einen flinken linken Fuß. Ich machte einen Satz auf ihn zu, setzte eine rechte Gerade, fand mein Gleichgewicht und ließ zwei ansatzlose linke Geraden sowie eine weitere Rechte folgen.
    Jonah blutete stark aus einer Platzwunde über dem linken Wangenknochen. Er schnaufte, genau wie ich. Ich machte einen Schritt zurück, um zu Puste zu kommen, während ich im Hinterkopf die Sekunden mitzählte. Jonah taumelte einen Schritt nach vorn und fiel mitdem Gesicht zuerst in eine Pfütze aus glänzendem grauem Schmodder.
    Meine Beine wollten sofort losrennen, aber ich blieb noch lange genug, um den Jungen umzudrehen. Wahrscheinlich hätte ich irgendein unschuldiges Leben gerettet, wenn ich Jonah in dem Hinterhof hätte verrecken lassen, aber ich musste an mein neues Leben denken und war nach dem siegreichen Scharmützel obendrein großzügig gestimmt.

15
    Jonah zu verprügeln hatte mir viel zu viel Vergnügen bereitet. Als ich durch die Gasse hinter der Kneipe lief, war ich regelrecht außer mir vor Freude über meine Vorstellung. Ich hatte es immer noch drauf. Ich war noch immer im Spiel.
    Noch immer ein Idiot, traf die Sache wohl besser
    Bevor die fünf Minuten verstrichen waren, nach denen die Stammgäste des Oddfellows meine Verfolgung aufgenommen hätten, sauste ich in meinem roten Geländewagen davon. Meine Fingerknöchel schmerzten, und ich atmete schwer, um das Adrenalin abzubauen, das durch den Kampf ausgeschüttet worden war. Als mein Blutdruck wieder sank, wurde mir langsam bewusst, dass ich die einzige klare Chance vermasselt hatte, an Thurman heranzukommen. Meine Kontakte in der Stadt und zur Staatspolizei von Albany waren diesbezüglich ziemlich nutzlos. Ein Mann war ermordet worden, ein zweiter wurde vermisst. Ich durfte meine Verbindung zu den beiden auf keinen Fall aktenkundig machen. Die Polizei musste herausgehalten werden, bis ich mehr über die Sache wusste.
    Um sechs Uhr stand die Sommersonne noch hoch am Himmel. Ich fuhr ins South End, ein Viertel der Stadt, das zwar heruntergekommener, jedoch mehr nach meinem Geschmack war. Hier sah man zwischen den Weißen auch schwarze und braune Menschen herumlaufen, so dass niemand mich für eine Spezialbehandlung ausgucken würde. In der Standard Street kam ich an einem Hotel namens Gray Wolf Inn vorbei, einem modernen Kasten aus Glas und Beton, eingeklemmt zwischen älteren, gesichtslosen Gebäuden, die weder Büros noch Lager, weder Gewerberäume noch Wohnlofts beherbergten. Früher waren es Fabriken gewesen, in denen Amerikaner gearbeitet hatten, um ihre Familien zu ernähren und ihre Rechnungen zu bezahlen. Mein Vater hat sein Leben an Orten wie diesem verbracht, um die Arbeiter gewerkschaftlich zu organisieren. Man hatte ihm die Knochen gebrochen und ihn mehr als einmal ins Gefängnis gesteckt, aber er organisierte weiter. Jetzt waren die Fabriken geschlossen und Gewerkschaften nur noch verrostete alte Anstecknadeln und vergilbte Mitgliedsausweise in vergessenen Truhen. Mein Vater war längst nicht mehr da, verschwunden wie die Spuren seines Bluts und seiner harten Arbeit.
    Das Gray Wolf Inn hatte eine Glastür, die zu einem kurzen Flur und einem Fahrstuhl mit Rotgusstüren führte. Rechts befand sich ein durchsichtiger Verschlag aus Plastik, in dem ein ausgemergelter junger Weißer saß, mit blasser Haut und Augen, die mehr gesehen hatten, als er an Jahren gelebt haben konnte.
    Der junge Mann hatte keinen richtigen Schreibtisch. Er saß auf einem Drehstuhl an einer türkisfarbenen Arbeitsplatte, die aus der hellbraunen Wand ragte. Als ich mich räusperte, stand er auf und trat an die Plastikabtrennung, die ihn vor etwaigen Gefahren abschirmte. Ich war froh über die Barrikade, denn wenn er den säuerlichen Abfallgestank an meiner Kleidung gerochen hätte, hätte er mir bestimmt kein Zimmer gegeben.
    »Wie viele Nächte?«, fragte der alte junge Mann. Er trug ein blaues Hemd und eine blaue Hose, die trotzdem nicht zueinander oder den schmutzig gelben

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