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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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dem toten Winkel, und man landet mit dem Gesicht voran auf der Straße.
    Ich wollte Roger Brown retten, und dafür musste ich Ambrose Thurman aufspüren, vielleicht sogar aufmischen. Aber bevor ich irgendwas in die Richtung tun konnte, musste ich das Oddfellow überstehen. Ich überlegte, von Gast zu Gast zu gehen und jeden zu fragen, ob er das Gesicht auf der falschen Visitenkarte schon einmal gesehen hatte, verwarf diesen Ansatz jedoch. Ein Raum voller halbbetrunkener Männer, die einen auch unter günstigsten Umständen nicht mögen würden, konnte leicht in etwas Hässliches eskalieren.
    Das Oddfellows war eine Sackgasse, beschloss ich und wollte weiterziehen.
    Ich war noch keine drei Minuten in der Bar.
    Aber als ich mich umdrehen wollte, erhob sich von einem Tisch in der Ecke ein großer, kräftiger Rotschopf. Er war jung, circa fünfundzwanzig, und sah aus wie ein Junge, der gerade eine Herausforderung angenommen hatte. Er kam breit lächelnd in meine Richtung, so dass ich meinen Abgang noch eine Minute aufschob.
    »Hey«, sagte der junge Mann freundlich und grinste. Er besaß die Attraktivität eines TV-Kinderstars aus den Fünfzigern, der als Erwachsener nichts von dem jungenhaften Charme eingebüßt hatte, mit dem er durchs Leben gekommen war.
    »Was geht?« Ich konnte genauso gut gleich den Typen geben, für den er mich hielt.
    »Was machst du hier?«, fragte er, noch immer die Zähne zeigend. Es war beinahe so, als stünde gar keine Drohung im Raum. Beinahe.
    »Ich bin hier mit einem Typen verabredet.«
    »Was für ein Typ?«
    Ich zog Ambrose Thurmans Visitenkarte aus der Jackentasche und gab sie ihm. Er hatte blasse dicke Finger mit Schmutz unter den Nägeln, was ihn irgendwie sympathisch machte.
    Er studierte das Bild und den Namen.
    »Kennst du ihn?«, fragte ich.
    Er gab mir die Karte zurück.
    »Wie heißt du?«, lautete seine Antwort.
    »Bill. Und du?«
    »Jonah.«
    »Wie der mit dem Wal?«
    Der Junge lächelte. Unter anderen Umständen hätten wir uns womöglich prima verstanden ... auf einem entlegenen Planeten etwa. Er schaute sich um, als ob die Blicke um uns herum allein auf ihn gerichtet gewesen wären
    »Vielleicht sollten wir draußen reden«, schlug er vor.
    Ich nickte und wandte mich zur Tür.
    »Nach hinten raus«, sagte er. »Komm, hier lang.«
    Jonah steuerte einen kurzen Gang am anderen Ende des Tresens an. Nach kurzem Zögern folgte ich ihm.
    Als Boxer, und sei es als Amateur, kann man leichtsinnig werden. Ich habe immerhin als Sparringspartner von Schwergewichtlern im Ring gestanden und mich behauptet. Das war zwar viele Jahre her, und in jüngster Zeit hatte ich mehr Rost als Eisen in den Gelenken. Trotzdem verfügte ich über das Selbstbewusstsein eines Mannes in Jonahs Alter.
    Als ich ihn einholte, öffnete er gerade die Hintertür. Er ging als Erster hindurch, und ich wartete kurz, um mich zu vergewissern, dass uns niemand folgte. Als ich über die Schwelle trat, überraschte Jonah mich mit einem durchaus cleveren rechten Haken, der mich in eine Ansammlung von Mülltonnen krachen ließ. Ich war am Boden, verletzt war aber nur mein Geruchssinn. Auf dem Boden dieses dunklen Hinterhofs faulte der Müll von Jahrzehnten vor sich hin.
    Jonah trug schwere Motorradstiefel mit Stahlkappen, wie ich erkannte, als er versuchte, mir damit ins Gesicht zu treten.
    Der Vorteil eines Boxers besteht darin, dass er Grund hat, selbstbewusst zu sein. Meine Reflexe funktionierten noch immer doppelt so gut wie zu erwarten. Ich packte Jonahs Fuß und klammerte mich daran, bis er neben mir auf dem Boden lag. Dann rappelte ich mich hoch, knallte die Hintertür der Kneipe zu und rammte eine Mülltonne unter die Klinke, damit wir ungestört blieben.
    Jonah stand mühelos auf und grinste. Ich sah, dass er einer jener bewundernswerten Soziopathen war, die einen mit demselben freundlichen Lächeln auf den Lippen lieben oder töten konnten.
    Mein Verstand war zu einer berechnenden Maschine geworden. Hinter der dünnen Holztür waren zehn Männer, die sich höchstwahrscheinlich auf die Seite des Jungen schlagen würden, und da war Jonah, der glaubte, er könnte mit drei wohlgesetzten Schlägen kurzen Prozess mit mir machen.
    Jonah bereitete mir keine Sorgen. Ins Schwitzen brachte mich nur der Gedanke an die Uhr hinter dem Tresen. In drei Minuten würden die Typen gegen die Tür hämmern, in fünf würden sie sie entweder aufbrechen oder außen herum kommen.
    Die erste Regel im Handbuch des Straßenschlägers

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