Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman
kombiniert, dass wir meistens günstige Flüge, Mietwagen und manchmal sogar Hotelübernachtungen bekamen.
Ein freundlicher junger Mann mit Pickeln und großen Zähnen gab mir eine Straßenkarte und die Schlüssel zu einem roten Softroader. Ich saß lange auf dem Fahrersitz und studierte das Straßennetz der Stadt. Ich war schon oft in Albany gewesen, weil es die Hauptstadt des Bundesstaates ist und ein großer Prozentsatz der Politiker Gauner sind. Ich hatte dort alle möglichen Vertuschungs- und Bestechungsjobs erledigt, aber ich kannte die Stadt nicht so, wie ich New York kannte, und nahm mir deshalb Zeit, mich wieder mit der Geographie vertraut zu machen.
Im Autoradio lief »Smooth Operator« von Sade, als ich mich dem Streichholzbriefchen zuwandte, das bei den Durchsuchungen erstaunlicherweise unentdeckt geblieben war. Über den Wolken war es vor allem Glück, das einen rettete.
Das Oddfellows Pub, für das auf dem Streichholzbriefchen Reklame gemacht wurde, lag im Norden der Stadt. Im Grunde schien die Sache ganz einfach: Ich würde in die Kneipe gehen, Ambroses Visitenkarte herumzeigen und irgendeine Geschichte erzählen, und irgendjemand würde sich an irgendwas erinnern, das mich dem Hals dieses Heuchlers ein gutes Stück näher bringen würde. Aber auch darin sollte ich mich irren.
Das fragliche Stück der North Pearl Street war von Läden gesäumt, die langsam von der Shopping-Center-Kultur erdrückt wurden. Es gab einen Haushalts-warenladen, dessen gesprungene Glastür von Draht zusammengehalten wurde, die schmuddelige Filiale einer Supermarktkette, zwei Bekleidungsgeschäfte, ein paar gedrungene Bürogebäude und das Oddfellows Pub. Die Kneipe hatte eine Putzfassade, die vorgab, eine Backsteinmauer zu sein – mit viel zu roten Ziegeln und zahnpastaweißen Fugen. In einem kleinen Fenster flackerte ein Bierkrug aus Neon. Die Eingangstür hatte einen gewöhnlichen Türknauf, der einem das Gefühl vermittelte, man würde ein privates Wohnhaus und kein öffentliches Lokal betreten; meine erste böse Vorahnung.
Als ich die Tür öffnete, schlug mir Patsy Clines glockenheller Gesang über eine kratzige Musikboxnadel entgegen.
Über der Theke hing zwar keine Südstaatenflagge, aber ich sah in den Augen der Gäste auch keinen Funken von Freundlichkeit oder Sympathie. Sie registrierten mein Eindringen in ihr schmuddeliges kleines Reich,so wie eine Eule unvermittelt eine Schlange bemerkt, die sich durch das Gras unter ihr windet. Die Männer, ausschließlich weiß, hatten das Trinken und jede Unterhaltung eingestellt, um mich an die Pinnwand ihres Bewusstseins zu nageln. Ich zählte elf, inklusive des Barkeepers, und wenn es nicht um Leben und Tod gegangen wäre, hätte ich auf der Stelle kehrtgemacht.
Nicht überall in Amerika lebte man im Jahr 2008. Einige Leute steckten noch in den Sechzigern, andere hätten ebenso gut Veteranen des Bürgerkriegs sein können. In vielen Gaststätten galt ich als Schwarzer; in anderen, feineren Lokalen wurde auch die Bezeichnung »Afroamerikaner« verwendet, aber im Oddfellows war ich ein Nigger an einem Ort, wo Nigger unerwünscht waren.
Ich wusste wie gesagt, dass es das Schlaueste gewesen wäre, einfach umzukehren, doch stattdessen trat ich weiter in den dunklen Raum und stellte mich an den Kunststofftresen wie ein Tourist, der nur auf ein schnelles Bier hereinschaut. Der blasse Barkeeper war so kahl wie ich, aber größer und trug ein weißes Hemd mit breiten roten Streifen, darüber dunkelgrüne Hosenträger. An einem der Träger war das ramponierte Namensschild einer Brauerei befestigt. Darauf stand: »Hi, ich bin Jake.«
Jake mochte mich nicht.
»Ein Bier, was immer Sie vom Fass haben«, sagte ich.
Der Barkeeper war auch etwa so alt wie ich. Er grinste und kehrte mir den Rücken zu. Während er sich über den feuchten Boden hinter dem Tresen wegbewegte, beschloss ich, nichts zu trinken, selbst wenn er mir etwas ausschenken sollte.
Aber darüber musste ich mir keine Sorgen machen. Im Albany von 1953 würde ich nicht bedient werden. Vor einem Gast, der am Ende der Theke saß, blieb Jake stehen. Sie wechselten ein paar Worte, blickten in meine Richtung und lachten.
In gewisser Weise ist das Leben eines Privatdetektivs dem eines müden Bullen nicht unähnlich. Man hat ein Ziel – das Ende der Schicht –, doch auf dem Weg dorthin lauern zahlreiche Ablenkungen. Man muss in jedem Moment präsent sein, denn wenn man der Zeit vorauseilt, erwischt einen irgendwas aus
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