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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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nicht zum Prozess kam und wir keinen Vorwand hatten, Sie vorzuladen. Und selbst wenn Sie es waren,hätten wir Ihnen keine direkte Verbindung zu dem Raub nachweisen können.«
    Darauf hätte ich mit einem lässigen Spruch kontern sollen. Das war unser Ritual. Aber ich war nicht mehr der Mann, auf den Kitteridge Jagd machte. Ich konnte mich nur die ganze Zeit über fragen, was sein Besuch zu bedeuten hatte.
    »Warum sind Sie hier, Lieutenant?«
    Kitteridge kniff die Augen zusammen. Bei keinem seiner Sondierungsbesuche war ich je schroff und kurz angebunden gewesen. Wir hatten unsere vorgeschriebenen Dialoge, und zum ersten Mal seit neunzehn Jahren fiel ich aus der Rolle.
    »Camilla Jones«, sagte er. Es klang beinahe wie eine Frage.
    »Wer?«
    »Roger Browns Verlobte. Er war vorgestern Abend in einem Club in der 57 th Street mit ihr verabredet. Als er nicht kam, rief sie ihn an, und er sagte, er sei krank. Sie fand, dass er nervös klang, aber er sagte, es sei nichts. Am Tag darauf meldete er sich nicht bei ihr, also ging sie gestern Abend zu seiner Wohnung und klingelte. Niemand antwortete. Sie hatte einen Schlüssel, beschloss, ihn zu benutzen, und fand ihn tot auf dem Fußboden. Verprügelt und erwürgt wie ein armer Hund.«
    »Und?«, fragte ich flüsternd.
    »Und vor wenigen Tagen hat der so schwer zu fassende Arnold DuBois seine Visitenkarte in Browns Büro hinterlegt.«
    »Und?«
    »Am nächsten Tag kam ein großer Weißer auf derSuche nach Roger ins Büro. Die Empfangssekretärin, eine gewisse Juliet Stilman, sagte, er habe sie bedroht. Als Roger von dem Kerl hörte, flehte er sie an, nicht die Polizei zu rufen, und schlich sich durch eine Seitentür aus dem Gebäude. Am nächsten Tag kam er nicht zur Arbeit, und jetzt ist er tot.«
    Ich wartete eine Weile, bevor ich fragte: »Ist das alles, Lieutenant?«
    »Erzählen Sie mir, was Sie dort gemacht haben?«
    Ich zuckte die Achseln und machte eine sinnlose Geste. »Das Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst auch das Recht, den Mund zu halten.«
    Kitteridges gerunzelte Brauen ließen seine hellgrauen Augen dunkler wirken, als er sich vorbeugte.
    »In gewissen Kreisen heißt es, Sie hätten den Beruf gewechselt«, sagte er andeutungsvoll.
    »Eisverkäufer?«
    »Kundschafter für den Killer – Hush.«
    Bei allem, was man mir möglicherweise vorwerfen konnte, stand Auftragsmord nicht auf der Liste. Ich kannte Hush. Wir waren Freunde, soweit wir beide überhaupt mit jemandem befreundet sein konnten, doch er hatte sich aus der Profikillerbranche zurückgezogen, und ich hatte nie etwas mit seinen Geschäften zu tun gehabt.
    Die Vorstellung, ich könnte ein Mafiascherge sein, löste irgendwo tief in mir Gelächter aus. Wenn ich nicht hinter einem Schreibtisch gesessen hätte, hätte ich mich vor dunkler Belustigung gekrümmt.
    Diese Reaktion machte Kitteridge wütend. Er sprang auf, und einen Moment lang dachte ich, er würde aufmich losgehen. Aber der Detective erfüllte die Rolle des Polizisten auf eine vollkommene und ideale Weise. Er verprügelte keine Häftlinge und türkte keine Beweise. Er hasste mich und meinesgleichen dafür, dass wir nicht so waren wie er, doch er würde seine eigenen Prinzipien niemals brechen.
    Er drehte sich um und verließ mein Büro. Anders als bei Tony, The Suit, musste ich mich nicht vergewissern, dass er wirklich gegangen war. Ich bezweifele ohnehin, dass ich mich von meinem Stuhl hätte erheben können.
    Roger Browns Tod lastete schwer auf mir.
    Ich wollte etwas tun, aber es blieb nichts zu tun übrig. Fell war tot, genau wie Frank und Roger. Jeder von ihnen war ein Nagel in meinem Fleisch, der mich auf diesem Stuhl fixierte.
    »Es sind die Hausfrauen und Klempner, die Gesetzestreuen und Frommen, die es zulassen, dass die grausamsten Verbrechen weiter geschehen«, hatte mein Vater mir und meinem Bruder Nikita erklärt. »Sie ziehen ihre Kinder groß und beten zu Gott, während Soldaten im Namen ihres Landes dunkelhäutige Familien niedermetzeln.«
    Ich wünschte, mein Vater würde in diesem Moment vor mir stehen. Dann könnte ich aufstehen und ihm eine Ohrfeige verpassen. Ich würde ihm sagen, dass seine Lektionen Nikita ins Gefängnis gebracht und mich an diesen Stuhl genagelt hatten. Und dass ich lieber ein fahnentreuer, republikanisch wählender Klempner geworden wäre.

19
    Die Online-Ausgabe der New York Times hatte im Aufmacher des Lokalteils ein Foto von Roger Brown: ein dunkles, attraktives Gesicht mit skeptischem Blick.

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