Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman
Die Narbe an seinem rechten Wangenknochen erinnerte mich an meinen gutaussehenden Sohn. Rogers Lächeln war von der unreflektierten Sorte, ein Grinsen, das Frauen denken lässt, er sei aufmerksam, wenn auch ein wenig böswillig.
Roger hatte in einem guten Haus im West Village gewohnt, wo nur selten Morde passierten, so dass es einiges Aufsehen gab. Der Journalist hatte Rogers Nachbarn befragt, die alle ihr Entsetzen zu Protokoll gaben.
»Er war ein netter Mann«, sagte Doris Diederrot, die im fünften Stock wohnte, »immer freundlich und hilfsbereit.«
»Ich hab ihn noch gestern vom Einkaufen nach Hause kommen sehen«, sagte der Hausmeister Bob Hahn. »Er war ein sehr netter und sehr höflicher junger Mann.«
In den Straßen des Village herrschte Angst, wenn man dem Artikel glauben wollte.
Zwei Abende zuvor hatte irgendjemand gegen elf Uhr die Haustür des Gebäudes aufgebrochen. Einen Nachtportier gab es nicht. Der oder die Angreifer waren in die Wohnung im sechsten Stock gegangen, hatten wahrscheinlich geklopft, sich Zutritt verschafft und den 34-jährigen Investmentberater verprügelt und erwürgt. Niemand hatte etwas gehört. Niemand hatte beobachtet, wie die Täter das Haus wieder verlassen hatten.
Auch ich war nachts in ein Gebäude eingedrungen, die Treppe zum Tatort eines Mordes hinauf und wieder hinunter gestiegen.
Die Erschöpfung der vergangenen Nacht traf mich wie eine Offenbarung. Ich stand auf, stolperte durch den Raum und ließ mich auf mein hartes schwedisches Sofa fallen. Ich schlief schon, ehe mein Körper richtig lag.
Kein Brand und kein freier Fall in diesem Traum. Ich war in einem großen, in voller Blüte stehenden Blumengarten. Alle Arten von Rosen und Orchideen, Päonien und Dahlien erfüllten das Feld mit ihren strahlenden Farben und feinen Düften. Zwischen den Blüten summten riesige, tödliche japanische Hornissen. Schlangen mit breiten Köpfen und schuppiger Haut wanden sich zu meinen Füßen. Überall waren Dornen, und am Himmel kreisten Geier, doch ich kam ohne Biss oder Stich bis zur anderen Seite der Wiese.
Dieser seltsame Garten Eden war mit Stacheldraht eingezäunt. Auf der anderen Seite standen im Abstand von drei bis vier Metern uniformierte Wächter. Ich fragte mich, ob sie dort postiert waren, um die ahnungslose Öffentlichkeit fernzuhalten oder um die sichtbaren Reichtümer vor Plünderern zu schützen.
Das Summen der Riesenhornissen war tief und klangvoll. Sie flogen umher, ohne meine Anwesenheit zu bemerken. In all dem Überfluss und der Bedrohung schien eine Botschaft für mich verborgen. Ich konnte sie nicht entziffern, wusste jedoch, wenn ich sie unvermittelt begriffe, würden mich die Tiere plötzlich bemerken und die Soldaten ins Visier nehmen.
Also atmete ich tief und gleichmäßig und wartete auf ein Zeichen. Ich bewunderte nicht nur die Schönheit der Pflanzen, sondern auch die Anmut der tödlichen Bienen und giftigen Schlangen, den Schnitt der Uniformen und das mühelose Gleiten der Geier am Himmel.
Als ich die Augen aufschlug, saß Aura fünfzehn Zentimeter entfernt von mir auf dem blauen Stuhl. Ihr Lächeln sagte mir, dass sie froh war, mich aufwachen zu sehen.
»Tut mir leid, dass ich den Polizisten reingelassen habe, aber ...«
»Mach dir deswegen keine Gedanken«, sagte ich.
Als ich mich aufrichtete, kam ein Stöhnen über meine Lippen, dem man jedes meiner dreiundfünfzig Jahre anhören konnte.
»Er hätte jeden Gebäudeverwalter in der City herbestellen können, wenn ich ihm nicht aufgemacht hätte«, musste Aura sich trotzdem verteidigen.
»Sollte man meinen, aber so arbeitet Kitteridge nicht. Er ist vielleicht der einzige wirklich ehrliche Polizist in der gesamten Stadt. Kannst du dir das vorstellen? Ein sauberer Bulle, und sein großes Lebensziel ist es, mich hinter Gitter zu bringen.«
»Er hat die Kombination für die Innentür verlangt, aber ich habe behauptet, dass ich sie nicht kenne«, sagte sie.
Aura und Twill waren die beiden Einzigen, die den Zugangscode zu meinem Innersten kannten.
»Mach dir keine Sorgen, Baby. Zu versuchen, das Gesetz zu stoppen, ist, als wollte man den Regen aufhalten.Es ist, was man eine Übung in Vergeblichkeit nennt. Wenn du ihn im Flur hättest warten lassen, hätte er das wahrscheinlich an mir abreagiert.«
»Was will er von dir?«, fragte sie. Ihre bronzene Miene war ernst, aber ruhig. Nicht das, was ein Connaisseur schön nennen würde, trotzdem ein Gesicht, das einem Hoffnung gab.
Ich erzählte ihr
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