Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman
habe.«
Ich hatte bis zehn gezählt und fing wieder von vorne an.
»Ich weiß nicht, wie.« Die Worte kamen mir aus einer leeren Kammer in meinem Kopf über die Lippen.
»Rede mit mir«, sagte sie. »Erzähl mir, was vor zwei Jahren passiert ist, wieso du so distanziert geworden bist.«
Der Schock darüber, wie gut sie mich kannte, wurde von der Meditation gedämpft. Vielleicht half mir die Übung sogar, die Wahrheit vor meinen Augen zu erkennen. Ich sah, dass Katrina, ungeachtet dessen, was sie tun würde, wenn sich ein Ausweg bot, beschlossen hatte, an unserer Ehe zu arbeiten, solange sie hier war. Das war nicht gelogen oder gespielt. Meine Frau wollte, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, eine Brücke zwischen ihrem Herzen und meinem Leben bauen. Ich musste nur den Weg frei machen.
Ich schaffte es gerade noch, den Mund aufzumachen. Heraus kam ein unverständlicher Laut.
»Was?«, fragte sie.
Die einsilbige Frage traf mein Ohr wie die leise Erschütterung einer entfernten Explosion. Es war kaum mehr als ein Ploppen, doch der erfahrene Soldat weiß, dass es durchaus Verletzung oder Tod bedeuten kann.
Ich kannte meine Frau zu gut, um darauf zu vertrauen, dass sie meine Worte niemals gegen mich verwenden würde. Ich kannte mich selbst zu gut, um so zu tun, als würde ich mein Leben zurückhaltend und mit Abstrichen mit jemandem teilen wollen. Es ging um ganz oder gar nicht, für beide von uns.
Dies war einer jener seltenen Augenblicke von echter Bedeutung im menschlichen Diskurs. Katrina und ich waren uns nie näher gewesen, unsere Herzen, selbst wenn meins verschwiegen war, nie ehrlicher.
Aber keiner von uns konnte die Jahrzehnte von Trümmern durchbrechen, die unsere Ehe ausmachten. Ich würde nie darauf vertrauen können, dass Katrina nicht eines Tages aus diesem Gefühl erwachte. Ich hatte Liebe schon zu oft in Hass umschlagen sehen, um die Zeichen nicht zu erkennen.
»Darüber muss ich nachdenken, Baby«, sagte ich. »Du weißt, ich bin der älteste Hund in der Meute, und sie kommen ständig mit neuen Züchtungen und Zaubertricks um die Ecke.«
In jenem Moment waren Katrinas blaue Augen allwissend, soweit es Leonid Trotter McGill betraf. Sie sah jeden meiner Gedanken und all mein Zaudern. Ich vergaß, meine Atemzüge zu zählen, während sie mich weiter mit diesem Blick ansah.
»Ich werde trotzdem hier sein und mich bemühen«, sagte sie.
Nach einem weiteren Moment dieser besonderen Folter ging die Frau, mit der ich seit Jahrzehnten verheiratet bin, hinaus.
43
Besonnen und nüchtern entschuldigte Katrina sich bei Twill und Mardi. Sie habe einen harten Tag gehabt, erklärte sie ihnen, und sich vorschnell über eine Kleinigkeit aufgeregt.
»Du kannst gerne ein oder zwei Tage hierbleiben«, sagte sie zu dem Mädchen.
Shelly war so glücklich, dass sie ihre neue Freundin auf die Wange küsste.
»Kann sie in meinem Zimmer schlafen, Mama?«
»Selbstverständlich.«
Twill sah mich an, doch ich schaffte es, den Blick auf Katrina gerichtet zu lassen.
Später, als der Abwasch erledigt war, klärte ich Twill über Katrinas Wunsch auf, dass ich bei ihm schlief.
»Warum hast du sie so angefahren, Pops?«, lautete seine Antwort.
»Als ich dir in die Augen geblickt habe, wusste ich, dass irgendwas nicht stimmt«, sagte ich. »Ich wusste, dass du einen guten Grund hattest, Mardi hierherzubringen, deshalb habe ich deine Mutter überredet.«
Twill kniff kurz die Augen zusammen und lächelte dann übers ganze Gesicht.
»Du bist in Ordnung, Mr. McGill.«
Ich glaube nicht, dass ich je ein höheres Lob bekommen werde.
Später ging ich in Twills Zimmer. Er saß nur mit dunkelblauen Boxershorts bekleidet am Schreibtisch und surfte nach geheimnisvollen Informationen im Netz. Als ich hereinkam, loggte er sich aus und stand auf. Am Fuß seines 1,50 Meter breiten Betts lag ein Schlafsack auf dem Boden.
»Ich nehm den Boden«, sagte er.
Der Schlafsack war ein Luxusmodell mit einer mit Gänsedaunen gefütterten, mattgrünen Oberseite und einer gepolsterten Unterseite in einem etwas dunkleren Farbton. Er verfügte sogar über ein doppeltes Netz als Gesichtsschutz gegen Moskitos.
Ich hatte es aufgegeben, Twill zu fragen, woher er solche Sachen hatte und wofür er sie brauchte. Als er jünger war, hatte ich versucht, mit ihm zu argumentieren. Schon als Fünfjähriger hatte er meine Bemühungen mit einem gewinnenden Lächeln und einem überzeugenden Ausdruck der Verblüffung gekontert. Im Laufe der Jahre hatte ich
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