Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
Vom Netzwerk:
Manteltasche gelassen, und so nahm er sich ein Streichholzbriefchen aus einer Schüssel auf dem Beistelltisch.
    Walter riss eines der Streichhölzer an und hielt es an die Zigarette. Sie sog daran, bis die Spitze glühte, und reichte sie ihm dann.
    Er inhalierte tief und gab sie ihr zurück.
    »Glücklich jetzt?«, fragte er. »Frohe Weihnachten? Ich liebe dich wieder, Walter?«
    »Ich liebe dich sehr.«
    Sie reichte ihm wieder das Stäbchen.
    »Warum bedeutet dir das überhaupt etwas?«, fragte er und inhalierte den Rauch.
    »Weil du dich dahinter versteckst, dass du alles richtig machst«, entgegnete sie. »Du versteckst dich hinter deiner Selbstbeherrschung.«
    »Ich habe gar nicht gewusst, dass Selbstbeherrschung so schlecht ist, Anne«, sagte er. Ein feines Lächeln verriet den Doppelsinn. Er versteckte sich hinter dem Scherz.
    Sie sah ernst aus.
    »Bitte sei nicht so ein Heiliger, Walter«, sagte sie. »Ich bekomme dann immer Angst, dass ich nicht mit dir mithalten kann.«
    Der heilige Judas, überlegte er, als er an Joe Keneally und Marta Marlund dachte, die jetzt im Bett lagen. Und an Mi
chael Howard und H. Benson. An Madeleine Keneally und Sean McGuire. Und an Anne. Und an sich selbst.
    Er setzte sich neben sie auf den Fußboden, hielt sie an den Schultern, sah ihr ins Gesicht und sagte: » Je t'aime .«
    » Je t'aime aussi . Aber ich fürchte, ich lasse dich im Stich.«
    »Das könntest du gar nicht.«
    »Du kennst mich nicht, ich …«
    Er legte ihr die Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. »Es ist Weihnachten«, sagte er, »und bald haben wir Neujahr. Die Zeit für einen Neubeginn und einen frischen Anfang.«
    »Glaubst du wirklich?«
    »Ich weiß nie so recht, was ich glaube«, sagte er, »nur, was ich hoffe.«
    Für dich und mich, für Gott und die Vergebung der Sünden.
    Als sie ins Bett gingen, führte sie ihn ohne viel Federlesens und nach wenig Vorspiel schnell in sich ein. Als sie ihn küsste, war es feucht und innig, und sie atmete seinen Atem ein, als versuchte sie, Leben zu saugen … nicht gerade aus ihm, das niemals … aber von ihm. Und als sie kam, blickte sie mit ihren grauen Augen starr in seine, als versuchte sie, eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage zu finden.
    Er lag hinterher noch lange wach, dachte an sie, an Weihnachten und das neue Jahr. Er strich ihr behutsam über den Flaum auf ihrem Unterarm und betrachtete sie im Schlaf.
    Für dich und mich, für Gott und die Vergebung der Sünden.

BLUE MONK
    Donnerstag, 25. Dezember 1958
    Nach einem kurzen schlechten Schlaf wurde Walter am Weihnachtsmorgen früh wach. Er stand auf, zog sich einen Morgenmantel an und holte sich das Pamphlet von der Treppe, das während des Streiks als Times figurierte. Er rauchte seine erste herrliche Zigarette des Tages, während er sich einen Topf Kaffee machte und die Nachrichten überflog.
    Gromyko drohte, die so genannte freie Welt wegen Berlin zu zerschmettern, und das Pentagon prahlte, wir hätten die Atlas-Interkontinentalrakete in einem Jahr »einsatzbereit«. Ike behauptete, es gebe Beweise dafür, dass es keine Raketenlücke gebe, während Keneally behauptete, es gebe sehr wohl Beweise dafür. Dabei fiel Walter ein weiteres Bonmot Mort Sahls ein – »Wir sollten den Russen unsere gesamten wissenschaftlichen Geheimnisse geben, dann wären sie zwei Jahre zurück.« Eine positivere Nachricht lautete, man habe »unter der strahlenden Dezembersonne« in Jerusalem die Barrikaden beseitigt, nämlich zu Ehren des heiligen Tages. Walter fiel angenehm auf, dass israelische Polizisten und jordanische Soldaten »sich im Niemandsland wie selbstverständlich miteinander unterhielten«, doch es verwirrte ihn, dass das einzige, was Juden und Moslems erlaubte, »sich miteinander zu unterhalten«, ein christlicher Feiertag war, der auf germanische Heiden zurückging.
    Nun, ich bin der Welt überdrüssig, und morgen werden die Barrikaden wieder aufgerichtet werden, dachte Walter.
    Und wo ich gerade von Aufrichten spreche …
    »Guten Morgen«, sagte er zu Anne, als sie in die Küche trottete. »Du bist schon früh auf.«
    »Ist der Weihnachtsmann gekommen?«, fragte sie. Ihre Augen waren verquollene Schlitze, ihr Haar ein wirres, strähniges Knäuel, und ihren Morgenmantel hätte man mit viel Wohlwollen als »tantenhaft« bezeichnen können.
    »Er war da und ist gleich weiter«, erwiderte Walter. »Aber er hat wenigstens Kaffee gemacht.«
    »So ein lieber Kerl«, murmelte sie. »Ich habe immer

Weitere Kostenlose Bücher