Manhattan
lauschte, ob sich im Hausflur jemand befand, bevor er hinausging. Dann rief er von einer Telefonzelle aus im Büro an.
»Forbes and Forbes, mit wem darf ich Sie verbinden?«
»Dem Dezernat für Sittlichkeitsverbrechen, bitte.«
»Sind Sie das, Mr. Withers?«
Walter ließ es sich nie nehmen, Agnes, der früheren Empfangsdame, ein glucksendes Lachen zu gönnen.
»Kein anderer, Agnes.«
»Wollen Sie ›Ehesachen‹?«, fragte Agnes. »Sie haben Mr. Dietz gerade verpasst. Er ist vor etwa zehn Minuten gegangen.«
»Auf dem Weg wohin, wenn ich fragen darf, Agnes?«
»Jersey. Und ich kann Ihnen sagen, dass er nicht glücklich aussah.«
Walter dankte ihr, hängte ein und wählte Dietz' Privatnummer.
Sarah nahm ab.
»Wie geht's dir?«, fragte Walter, obwohl er dem Klang ihrer Stimme anhörte, dass sie reichlich zu tun hatte. »Könntest du eine Pause gebrauchen?«
Zwei Minuten später fuhr er mit einem Taxi zur 42. Straße.
Mary Dietz war an diesem Nachmittag wach, jedoch erschöpft nach einer schlimmen Attacke, und Sarah legte gerade die Spritze beiseite, als Walter ankam. Der Geruch von Schweiß hing übelriechend im Schlafzimmer.
Sie freute sich jedoch, ihn zu sehen. Schenkte ihm das schönste Lächeln, das sie zustande bringen konnte, wünschte ihm einen guten Nachmittag und lauschte mit dem bisschen Vergnügen, das sie noch aufbieten konnte, seiner melodramatischen Wiedergabe des Schundromans.
»In jener Nacht erhielt das Land in den 18.15-Uhr-Nachrichten einen Bericht«, las Walter aus One Lonely Night . »Im State Department hatte es ein Leck gegeben, und die Katze war aus dem Sack. Es hatte den Anschein, als hätten wir ein Geheimnis gehabt. Ein anderer hatte es jetzt an sich gebracht.«
Das Medikament wirkte gnädig schnell, und sie glitt in den Schlaf hinüber, während er den Text nur noch leiernd vortrug. Er las jedoch weiter, weil er in dem stickigen, einschläfernden Raum die Augen nicht würde zumachen können.
Er wollte auch schlafen, weil ihm ein ereignisreicher Abend bevorstand.
Er würde in die Stadt fahren und ausgehen.
Der große Abend begann, wie ereignisreiche Abende nach Walters Meinung beginnen sollten, am Broadway, und wenn es etwas gab, was man am Broadway nicht lieben musste, wusste Walter nicht, was es sein könnte.
Der Broadway durchquerte ganz Manhattan, doch wenn Walter an ihn dachte, schwebte ihm nur der Teil um den Times Square herum vor, das Theaterviertel, der Great White Way, der Broadway der funkelnden Lichter.
In dieser Weihnachtswoche von 1958 funkelten die Lichter im vollen Glanz des amerikanischen Theaters. Als sie an jenem Abend den Broadway entlang schlenderten, gingen Walter, Marta, Joe und Madeleine unter Lichtern hindurch, die den Passanten verkündeten, was gespielt wurde: Music Man im Majestic, West Side Story im Winter Garden und My Fair Lady im Marc Hellinger. Judy Holliday spielte die Hauptrolle in The Bells Are Ringin ' im Alvin, Lena Horne trat im Imperial in Jamaica auf, und John Gielgud machte in seinem Ein-Mann-Stück The Ages of Man am Broadway eine eigene Art von Shakespeare-hafter Musik.
Walter hatte die Besetzung der Theaterstücke praktisch im Kopf und wusste, dass man in diesen wenigen Straßenvierteln folgende Schauspieler auf der Bühne sehen konnte: Henry Fonda, Anne Bancroft, Helen Hayes, Jason Robards jr., Don Stanley, Don Ameche, Elaine Stritch, Joseph Cotten, Eddie Alber, Vivian Blaine, Robert Morse, Christopher Plummer, Rosemary Harris, Eli Wallach, Maureen Stapleton, Walter Slezak, Jayne Meadows, Imogene Coca, Cyril Ritchard und, zu Walters großem Entzücken, Claudette Colbert und Charles
Boyer. Schon die Namen der Theater waren für Walter so etwas wie Magie: Das Helen Hayes, natürlich, das Martin Beck, das Lyceum, das Bijou, das Broadhurst, das Belasco, das Booth und das Barrymore, und zwei Dollar und dreißig Cent brachten einen durch die Tür und auf die billigen Sitze.
Wenn einem das Theater wirklich etwas bedeutete – was bei Walter nicht der Fall war, wohl aber bei Anne –, konnte man in die Querstraßen des Broadway wandern, um Brendan Behans Der Spaßvogel im Circle-in-the Square zu sehen oder The Power and the Glory im Phoenix. Unten im Village lief schon seit vier Jahren Die Dreigroschenoper , im Cherry Lane wurde The Boyfriend gegeben, im Martinique Hexenjagd , und im Sheridan Square Playhouse spielte man The Time of the Cuckoo .
Und das waren nur die Bühnen.
Für einen Kino-Fan wie Walter war New York ein
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