Manhattan
Big Parade«, so dass sein Atem in der kalten Luft kleine Dampfwolken bildete. Dann hielt er kurz inne und fragte: »So, Kinder, was wollt ihr jetzt machen?«
»Stork Club?«, schlug Walter vor. »Oder Sardi's? Club 21?«
»Hört sich alles wundervoll an«, sagte Marta.
»Tut es«, sagte Madeleine, »aber wisst ihr, wo ich den Abend wirklich beenden möchte?«
Eine wahre Prinzessin, dachte Walter. Erteilt ihre Befehle in Form einer Frage.
»Wo denn?«, fragte er pflichtschuldigst.
»Im Rainbow Room!«, verkündete sie.
Weißt du, wo ich den Abend wirklich nicht beenden will?, dachte Walter. Im Rainbow Room.
»Abgemacht!«, sagte Keneally.
Wie es das Vorrecht des Königs ist.
Ein Taxi tauchte auf, und sie stiegen ein. Wie verräterisch, dachte Walter. Wenn die Theater schließen, sind Taxis sonst kaum zu bekommen. Die beiden grimmig dreinblickenden Figuren blieben vor Kälte zitternd zurück und rannten jetzt los, um selbst ein Taxi zu bekommen.
Und mich bringt das, dachte er, in eine nicht weniger unangenehme Lage. Jetzt geht es in Gesellschaft von Joe Keneally und Madeleine Keneally und Marta Marlund zum Rainbow Room und Anne.
Für Walter Withers war der Rainbow Room der Inbegriff von New York. Der vierundsechzig Stockwerke über dem Rockefeller Center gelegene Nachtclub schien aus eigener Kraft in der Luft zu schweben, als wären die Gesetze der Schwerkraft, die für den Rest der natürlichen Welt galten, für den Rainbow Room aufgehoben worden. Die meisten Nachtclubs lagen auf Straßenniveau – man stieg aus dem Taxi, der Portier riss die Tür auf, dann befand man sich in einem hochklassigen Laden, der immer noch irgendwie zur Straße gehörte. Andere Clubs, die aus der Prohibitionszeit übriggebliebenen früheren Kneipen, lagen im Kellergeschoß – man ging in einen kühlen Keller hinunter und wurde buchstäblich zu einem Teil des Unter
grunds der Stadt. Der Rainbow Room befand sich jedoch im Himmel, dem einzig angemessenen Ort, über der Stadt, war nicht Teil ihrer Fundamente noch einer ihrer Straßen, sondern ihrer Luft.
»Er ist fast buchstäblich ätherisch«, hatte Walter einmal über den Rainbow Room gesagt, als er ihn Freunden von außerhalb beschrieb. »Er lebt im Äther der Stadt. Man verlässt den Asphalt und betritt einen Fahrstuhl, der einen nach oben sausen lässt. Man tritt aus dem Fahrstuhl und befindet sich in diesem magischen Raum im Himmel. Ich bin überzeugt, dass die griechischen Götter nach Manhattan gehen würden, wenn sie wieder auf die Erde kämen, und dass sie den Rainbow Room zu ihrem neuen Olymp machen würden, in dem es sogar die besseren Getränke gibt.«
Der Saal selbst war voller New Yorker Paradoxa. Nachdem man vierundsechzig Stockwerke hinaufgefahren war, musste man wieder hinuntersteigen, um in den Saal zu kommen. Das war wirklich klassisches Manhattan, denn man konnte oben stehen und einen kurzen Blick auf die Menge riskieren, bevor man die geschwungene Treppe mit ihrem polierten Chromgeländer hinunterging, wobei man hinter dem Podium vorbeikam, so dass jeder einen Auftritt bekam, der selbst zu einem Teil der Darbietungen wurde.
Der Saal repräsentierte die für Manhattan so typische Mischung aus warm und unterkühlt. Die kreisrunde Tanzfläche aus poliertem Holz war auf drei Ebenen von Tischen und Stühlen in Chrom und Schwarz umgeben. Die Tische ganz vorn hatten silbrig glänzende Tischtücher, die vor dem warmen Holz der Tanzfläche wie Eis wirkten. Dieser Fußboden war fürs Tanzen wie geschaffen. Sein Parkett war zu einem komplexen Mosaik ineinander verschlungener Kreise zusammengesetzt, die sich in einem schwarzen Stern in der Mitte
trafen. Die Tanzfläche war dazu gemacht, die Reibung und damit die Schwerkraft aufzuheben, um Liebende wie auf Luft dahingleiten zu lassen, befreit von der Anziehungskraft der Erde und ihrer eigenen irdischen Unbeholfenheit. Und die Gesichter der Liebenden leuchteten an diesem Abend ebenso sehr wie das von Madeleine Keneally. Sie spiegelten sich in den tausend Kristallen des Kronleuchters, der an der gewölbten Decke über dem Saal wie ein zertrümmerter Stern funkelte.
»Würden Sie gern nicht tanzen?«, fragte Marta Walter und gab in ihrer gebrochenen Syntax Walters Gemütszustand genau wieder. Er würde tatsächlich gern nicht tanzen, würde vielmehr liebend gern nicht tanzen, würde in Wahrheit gern gehen und mit der Sängerin nach Hause fahren.
Annes scharfe Noten schneiden heute Abend wie ein Rasiermesser,
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