Mann im Dunkel
seinem Innern ganz genau, der Besuch in der anderen Welt hat ihn vergiftet, und früher oder später wird es mit alldem zu Ende gehen. Er überlegt, ob er nach Vermont fahren und mit Brill reden solle. Wäre es möglich, den alten Mann dazu zu bewegen, seine Geschichte zu vergessen? Er versucht sich das Gespräch vorzustellen, versucht Argumente zu formulieren, die er vorbringen würde, aber am Ende sieht er immer nur, wie Brill ihn auslacht, sieht das ungläubige Lachen eines Mannes, der ihn für schwachsinnig hält, für geistesgestört, und verständnislos aus dem Haus jagt. Also unternimmt Brick gar nichts, und als er exakt einen Monat nach seiner Rückkehr aus Wellington, am Abend des einundzwanzigsten Mai, mit Flora im Wohnzimmer sitzt und seiner lachenden Frau einen neuen Kartentrick vorführt, klopft jemand an die Tür. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, weiß Brick sofort, was los ist. Er sagt Flora, sie solle nicht die Tür aufmachen, sondern ins Schlafzimmer laufen und, so schnell sie nur könne, die Feuertreppe nach unten nehmen, aber Flora, eigensinnig und selbstbewusst, freilich auch nicht ahnend, welche Gefahr ihnen droht, hat für seine panischen Anweisungen nur Hohn und Spott übrig und tut genau das Gegenteil. Bevor er sie am Arm festhalten kann, springt sie vom Sofa, tänzelt in einer affektierten Pirouette zur Wohnungstür und reißt sie auf. Zwei Männer stehen auf der Schwelle, Lou Frisk und Duke Rothstein, und da jeder von ihnen einen Revolver auf Flora richtet, bleibt Brick wie erstarrt auf dem Sofa sitzen. Theoretisch kann er noch immer zu fliehen versuchen, aber sobald er aufstünde, wäre die Mutter seines Kindes tot.
Wer zum Teufel sind Sie?, fährt Flora die beiden wütend an.
Setzen Sie sich neben Ihren Mann, antwortet Frisk und zeigt mit seiner Waffe auf das Sofa. Wir haben etwas mit ihm zu besprechen.
Flora dreht sich um und fragt Brick mit furchtsamer Miene: Was geht hier vor, Baby?
Komm her, sagt Brick und klopft mit der rechten Hand auf das Sofa. Diese Waffen sind kein Spielzeug. Tu, was sie sagen.
Ausnahmsweise widersetzt Flora sich nicht, und während die beiden Männer die Wohnung betreten und die Tür hinter sich schließen, geht sie zum Sofa und lässt sich neben ihrem Mann nieder.
Das sind meine Freunde, erklärt er. Duke Rothstein und Lou Frisk. Weißt du noch, wie ich dir von ihnen erzählt habe? Nun, da sind sie.
Ach, du guter Gott, murmelt Flora, inzwischen kreidebleich vor Angst.
Frisk und Rothstein nehmen auf zwei Sesseln gegenüber dem Sofa Platz. Die Spielkarten, mit denen Brick seinen neuen Zaubertrick vorgeführt hatte, liegen auf dem Couchtisch verstreut. Frisk hebt eine von ihnen auf, dreht sie um und sagt: Freut mich, dass Sie sich an uns erinnern, Owen. Uns sind allmählich Zweifel gekommen.
Keine Sorge, sagt Brick. Ich vergesse niemals ein Gesicht.
Was macht der Zahn?, fragt Rothstein und verzieht den Mund zu einer Grimasse, die man als Lächeln deuten könnte.
Danke der Nachfrage, dem geht’s schon viel besser, sagt Brick. Ich war beim Zahnarzt, und der hat mir eine Krone draufgesetzt.
Tut mir leid, dass ich Sie so hart getroffen habe. Aber Befehl ist Befehl, ich musste meinen Auftrag erledigen. Ihnen Angst machen. Hat wohl nicht viel genützt, was?
Hat schon mal jemand eine Waffe auf Sie gerichtet?, fragt Frisk.
Ob Sie’s glauben oder nicht, sagt Brick, das ist das erste Mal.
Sie scheinen ganz gut damit zurechtzukommen.
Ich habe das so oft in Gedanken durchgespielt, dass es mir jetzt vorkommt, als sei es schon längst geschehen.
Das heißt also, Sie haben uns erwartet.
Selbstverständlich habe ich Sie erwartet. Mich überrascht eigentlich nur, dass Sie nicht schon früher gekommen sind.
Wir dachten, wir geben Ihnen einen Monat. In Anbetracht eines so heiklen Auftrags schien es uns nur fair, Ihnen etwas Zeit zu lassen, sich dazu aufzuraffen. Aber nun ist der Monat vorbei, und wir sehen immer noch kein Ergebnis. Möchten Sie sich dazu äußern?
Ich kann das nicht. Das ist alles. Ich kann das einfach nicht machen.
Während Sie hier in Jackson Heights Däumchen drehen, breitet sich der Krieg immer weiter aus. Die Föderalisten haben eine Frühjahrsoffensive gestartet und nahezu alle Städte an der Ostküste angegriffen. Operation Einheit nennen sie das. Anderthalb Millionen Tote, während Sie hier herumsitzen und mit ihrem Gewissen ringen. Vor drei Wochen sind sie in die Twin Cities einmarschiert, und jetzt ist halb Minnesota wieder
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