Mann meiner Sehnsucht (German Edition)
Hin und wieder stellte er Zwischenfragen, aber die meiste Zeit hörte er nur schweigend zu. Schließlich bedankte er sich bei dem alten Indianer und geleitete ihn zur Tür. Weißer Adler nickte Hope noch einmal zu, dann war er verschwunden.
“Was wollte er?”, fragte Hope neugierig, aber Gabriel winkte ab.
“Nicht so wichtig. Etwas über das Erbe seines Stammes, und er wollte, dass ich es weiß.”
Hope merkte, dass Gabriel ihr nicht die ganze Wahrheit sagte, ließ es aber auf sich beruhen. Es erschien ihr wirklich nicht so wichtig. Wenn er darüber sprechen wollte, dann würde er es tun.
Draußen fiel wieder leise der Schnee. Der Oktober neigte sich seinem Ende entgegen, und der Winter hielt allmählich wirklich Einzug. Draußen war es klirrend kalt, aber in den letzten Tagen war der Himmel strahlend blau gewesen, sodass das glitzernde Weiß der umliegenden Berghänge und Gipfel im Sonnenschein fast schon in den Augen geschmerzt hatte. Heute war der erste Tag, an dem es wieder begonnen hatte zu schneien. Noch waren einige Straßen und Pässe frei, aber sie mussten sich beeilen, wollten sie Green River und somit die Bahnstrecke, die seit einigen Jahren die beiden Ozeane, die die Vereinigten Staaten begrenzten, miteinander verband, noch erreichen, ehe der Winter sie gänzlich von der Außenwelt abschnitt. Mit der Eisenbahn würden sie dann bis nach Chicago reisen.
Hope merkte, wie die Aufregung immer stärker von ihr Besitz ergriff. Sie war noch ein Kind gewesen, als ihre Eltern sich aufgemacht hatten von Chicago gen Westen. Nun war sie eine erwachsene Frau, wenn sie zurückkehrte in die Stadt ihrer Geburt. Und es fehlten nur noch wenige Monate und sie würde selbst Mutter sein. Gespannt fragte sie sich, wie es wohl sein mochte, in einer großen Stadt zu leben, aber auch wenn sie es kaum noch erwarten konnte, war sie sich sicher, dass sie dort nicht bleiben würden. Zwar hatte ihr Urgroßvater ihnen angeboten, bei ihm zu wohnen, solange sie wollten, oder ihnen sogar ein Haus zu kaufen, wenn sie nur in seiner Nähe blieb, aber Hope konnte sich Gabriel einfach nicht in einer Stadt vorstellen. Sicher, er hatte der Reise zugestimmt, ihr zuliebe, aber selbst in einem so kleinen Flecken wie Silver Springs wirkte er fehl am Platze. Nein, Gabriel gehörte ebenso wie sie selbst hinaus in die Wildheit der Berge oder in die Weite der Prärie. Er hatte ihr oft von seinem Bruder und seiner Frau, Emily, erzählt und von ihrer Ranch in den Bergen von Montana. Sie wusste noch nicht, wohin das Schicksal sie verschlagen würde, aber sie würde Gabriel überall hin folgen, wenn er nur glücklich war.
“Was ist?”, fragte Gabriel und trat hinter sie. Dann zog er sie in seine Arme und legte sein Kinn auf ihren Scheitel. “Woran denkst du?”
Hope lächelte. “An nichts Bestimmtes.”
“Und wenn ich dir sage, dass ich auch an Unbestimmtem interessiert bin?” Er wiegte sie langsam hin und her, als würde er dem Takt einer unhörbaren Melodie folgen.
“Nun, dann würde ich dir sagen, dass ich mich gerade frage, wo wir wohl leben werden.” Hope verrenkte sich den Nacken, um Gabriel anzusehen.
“Und woran dachtest du da so?”, wollte er wissen.
Hope zuckte mit den Schultern.
“Ich hoffe doch sehr, dass du nicht vorhast, in einer Stadt zu wohnen”, murmelte Gabriel und schüttelte sich theatralisch.
Hopes Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. “Nein”, sagte sie dann. “An eine Stadt dachte ich dabei eigentlich nicht.” Vor ihrem geistigen Augen entstand die Sonnenuntergangsszene am Fluss. Wie lange war es schon her, dass sie zum letzten Mal daran gedacht hatte? Verträumt schloss sie die Augen.
“Was siehst du”, fragte Gabriel leise. Noch immer wiegte er sie leicht hin und her.
“Ich sehe ein kleines weiß gestrichenes Haus, eigentlich mehr eine Hütte. Es steht an einem Fluss, und vor dem Häuschen steht eine Bank, auf der ich sitze. Ich sehe einen weiß gestrichenen Zaun und Hühner, die gackernd umherlaufen, und ich höre Kinderlachen. Sie spielen an dem alten Baum unten am Fluss. Und ich sehe einen Reiter, der aus der untergehenden Sonne auf mich zukommt.”
“Ist es ein Freund?”, wollte Gabriel wissen. Hope drehte sich in seinen Armen herum und schlang ihre Arme um seinen Hals.
“Nein”, sagte sie dann und zog seinen Kopf zu sich herunter. “Er ist viel mehr als nur ein Freund.” Ihre Lippen berührten sich und das letzte, was Hope ihm zuflüsterte, ehe sein Kuss ihr den Atem raubte
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