Mann mit Anhang
sie umsichtig
und sehr akkurat auf den Mund küßte. Sie dachte an Nico und wünschte, er würde
es sehen und vor Zom zerplatzen. »Ich bin verlobt«, murmelte sie.
»Das ischt kein Nachteil«,
erwiderte Herr Hüsli mit Betrübnis in der Stimme, »ich wünschte, ich wäre mit
so einem netten Mädchen wie Sie verlobt. Aber ich nehme mir nie die Zeit zu so
etwas.« Er sah sie flehentlich an und hatte dabei etwas von Jacky, wenn er um
ein Stück Wurst bettelte.
Goggi stieg aus und prüfte die
Standfestigkeit ihrer Beine. Sie war angenehm enttäuscht. Ihre Laune hob sich.
Sie nannte ganz gegen die Spielregeln der guten Sitte Herrn Hüsli ihren Namen
und erlaubte ihm, sie anzurufen.
Dann betrat sie das Haus. Oben
an der Treppe, die zur breiten Halle hinunterführte, stand Jacky. Er hatte das
linke Ohr auf halbmast gesetzt und sah ihr vorwurfsvoll entgegen. Mit leicht
vibrierender Schwanzspitze wartete er, bis Goggi die halbe Treppe
hinaufgestiegen war, dann lief er in Ronalds Schlafzimmer, zu dem die Tür nur
angelehnt war, und petzte. Wenige Sekunden später erschienen sie zu zweit,
Ronald in seinem schwarzen Morgenrock, mit wirren Haaren, Jacky mit steif
aufgestellten Ohren. Aus seinem Schnauzbart sprach schadenfrohe Überlegenheit.
»Na, hör mal«, sagte Gutting.
Goggi ging zum Angriff über.
»Das ist mit euch beiden ja schlimmer als verheiratet sein. Diese ewigen
Kontrollen!«
»Ich habe nur gesagt: Na, hör
mal. Und Jacky hat überhaupt nichts gesagt.«
Als sie den obersten
Treppenabsatz erreicht hatte, sagte Gutting freundlich: »Guten Morgen, Goggi.
Du bist verkatert und streitsüchtig.«
»Guten Morgen, Papa.« Sie hielt
ihm die Wange zum Kuß hin. »Verzeih, daß ich ein bißchen spät nach Hause
komme.«
»Du riechst nach Rauch und
Schnaps. Du solltest mit einundzwanzig einem frisch erblühten Röslein gleichen.
Wir machen uns schnell einen starken Kaffee, dann wird dir besser. Und mir
auch. Ich habe mir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen.«
Goggi folgte ihm kleinlaut in
die Küche. So war er, und so war er eben immer gewesen: nachgiebig,
verständnisvoll, kompromißbereit, liebenswert. Er hatte nie mit der Faust auf
den Tisch geschlagen, ihr nie einmal richtig >den Marsch geblasen<. Und
was war dabei herausgekommen? Sie grübelte darüber nach, als sie das Wasser auf
den Gasherd stellte. Sie gab reichlich Kaffee in den Filter.
»Ich bin ein schreckliches
Produkt deiner Erziehung«, sagte sie zerknirscht. »Du bist aber auch gar kein
richtiger Papa, sonst hättest du mich als Kind ordentlich verhauen, damals zum
Beispiel, als ich meine Handarbeitslehrerin mit Holunderbeeren beschoß. Oder
als ich ohne Führerschein mit deinem Wagen durchbrannte. Du hättest mich wirklich
verdreschen und mich zehn Tage bei Wasser und Brot in den Keller sperren
müssen.« Unvermittelt stellte sich das heulende Elend bei ihr ein. Sie begann
zu schluchzen. Alles war so schrecklich verfahren. Sie kam mit Nico nicht recht
weiter, hatte einen verdorbenen Magen uni sich obendrein von einem fremden
Eidgenossen küssen lassen »Du bist wirklich kein richtiger Papa«, wiederholte
sie.
»Nein, du hast recht«, murmelte
Gutting.
Jacky war begeistert, daß man
sich zu so ungewöhnlich früher Stunde in der Küche aufhielt. Er nahm
vorsorglich vor dem Kühlschrank Platz. Das Tor zu diesem wurstduftenden,
festlich bei leuchteten Paradies tat sich auf, als Goggi die Sahne herausholte
Jacky machte stramm, rechte Pfote erhoben, und ließ seine Auges sagen: darf ich
gehorsam um etwas Wurst bitten? Aber Goggi übersah ihn. Sie schlug ihm die Tür
vor der Nase zu, goß den Kaffee auf und stellte die Tassen auf ein Tablett.
»Wir wollen recht leise sein, damit Fräulein Muhr uns nicht hört. Es wäre
entsetzlich«, sagte sie. Dann schritten sie alle drei in einer schweigenden
Prozession über die Diele zum kleinen Frühstückszimmer.
Gutting nahm einen Schluck.
»Wie stellt ihr euch das nun eigentlich vor, du und Nico?«
»Gar nicht. Er hat andere
Vorstellungen als ich. Ich zum Beispiel wäre dafür, deinen Segen zu erzwingen.
Aber Nico zieht nicht mit, er ist viel zu pedantisch dazu, der nachgemachte
Südländer.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
Gutting steckte sich eine
Zigarette an und lehnte sich in den Stuhl zurück. Er sah aus wie ein gütiger
Gatte, der seine junge, widerspenstige Frau einem milden Kreuzverhör
unterzieht. »Ich kapiere die ganze Sache nicht. Was heißt das,
Weitere Kostenlose Bücher