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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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zweiundzwanzig Jahren.
    Lächerlich, dachte er,
Jeannette und er hatten nichts mehr, was sie miteinander verband, als eine
Erinnerung. Jeder von ihnen hatte sein eigenes Leben gelebt, jeder von ihnen
war auf einem anderen Erdteil älter geworden. Was wollte Jeannette von ihm? Was
sollte er von ihr wollen? Sie ist mein neuralgischer Punkt, sagte er sich, und
stopfte das Telegramm in die Tasche des Gartenkittels.
    Der Postbote hatte sich
entfernt und bei Jacky das angenehme Gefühl hinterlassen, ihn in die Flucht
geschlagen zu haben. Jacky befaßte sich unverzüglich wieder mit Alois. Er
versuchte, die hassenswerte Stachelkugel in das Schwimmbassin zu kullern. Dort
mußte sie sich öffnen, und Jacky konnte dann endlich die kleine, haarige Kehle
fassen und dem Igel den Garaus machen. Aber bevor es dazu kam, fühlte er sich
unsanft am Nackenfell hochgenommen, und er hörte die erboste Stimme seines
Herrn: »Du bist kein Ehrenhund, Jacky, du kämpfst mit ganz unfairen Mitteln, in
meinen Augen bist du ein Schuft.«
    Jacky setzte sich in das
duftende, frische Gras, das Ronald gemäht hatte. Er senkte die blutende Nase
zur Erde und war unglücklich. Ein schwergeprüfter Hund, der nicht töten durfte,
wie sein inneres Gesetz es gebot. Unvernünftige Menschen!
    Ronald zog den Grasmäher wieder
hin und her. Manchmal blickte er zu dem großen, schönen Haus hin, das er gebaut
hatte. Es sollte ihm Sicherheit geben und zeigen, wie gut und solide sein Leben
gefügt war. Aber seit er nun begriffen hatte, daß er Goggi verlieren sollte,
stimmte diese Rechnung nicht mehr. Zwar stand las Haus, aber das Gebäude seines
inneren Friedens wankte. Da waren Vatergefühle, Eifersucht, Liebe, Traurigkeit
und wohlwollendes Verständnis. Wie würde er die Zeiten durchstehen, wenn für
ihn nur mehr ein flüchtiges Augenzwinkern und bestenfalls ein paar gemeinsame
Mahlzeiten abfielen?
    Er zog nachdenklich die
Morgenluft ein und ließ seinen Blick über das sonnenbeschienene rote Dach und
die blendend weißen Mauern hingleiten. Stein für Stein ein harter Arbeitstag.
Die ersten beiden Fenster der oberen Etage gehörten zu Goggis Zimmer.
    Maria, das Zugehmädchen,
erschien um sieben Uhr morgens. Sie stellte die Tassen aufeinander und fegte
die Zuckerkörnchen in die Hand, als Gutting über die Terrasse ging. »Sie haben
heute schon gefrühstückt?« fragte sie.
    »Gefrühstückt ist übertrieben.
Ich habe einen Schluck Kaffee mit meiner Tochter getrunken. Jetzt hätte ich
gern ein richtiges Frühstück, Tomatensaft, Schinken, noch einen Kaffee und drei
Eier im Glas.«
    Marias Augen weiteten sich.
»Drei?«
    »Ja, drei. Warum nicht? Es
dürfen auch vier sein. Ich habe Entschlüsse zu fassen und brauche eine feste
Unterlage.«
    Als er im Bad vor dem Spiegel
stand und sich rasierte, überkam ihn ein Gefühl der Ratlosigkeit. Auch drei
Eier, ja nicht einmal ein ganzes Schock Eier würden ihn schlauer machen. Er
begutachtete sein Gesicht im Spiegel, kritisch und leidenschaftslos, als stünde
dort ein anderer. Dieser andere wirkte für seine Jahre jung, ein gutaussehender
Mann, einer, der bei Gesellschaften und auf Reisen eine gute Figur machte.
    Auf der schmalen Glasplatte
hatte er Jeannettes Telegramm aufgebaut. »Warum«, so stand da, »antwortest
Du auf meinen Brief nicht? Muß ich wirklich im September, wenn ich nach Europa
komme, einen weiten Bogen um München machen?«
    Er würde ihr schreiben, daß sie
jetzt keine Bogen mehr umeinander machen müßten, sie seien beide in dem Alter,
daß sie einander wahrscheinlich viel Wissenswertes über ihre Kreislaufstörungen
erzählen könnten. Wilhelm Buschs Definition fiel ihm ein: sie waren nicht mehr
jugendlich und wurden darum tugendlich.
    Er sah, wenn er sehr tief in
die Vergangenheit zurückschaute, den Zorn und den Schmerz wie eine Woge aus
Jeannettes dunklen Augen hervorbrechen, als er ihr sagte: »Jeannette, es kann
nicht sein. Wir müssen uns trennen, denn ich habe die verdammte
Freundespflicht...«
    Aber das war in einem anderen
Leben gewesen. Und jetzt stand er vor dem Spiegel und rasierte sich. Er war
dabei, seine Tochter zu verheiraten, er näherte sich den Fünfzig, würde wahrscheinlich
in den nächsten zehn Jahren die wenigen nichtssagenden Episoden seines Daseins
um einige weitere vermehren und letzten Endes ein junges Gänschen ehelichen,
das seiner Eitelkeit schmeichelte. Oder die Muhr, die gut kochte.
    »Jacky, laß doch endlich diesen
Blödsinn sein«, sagte er über die Schulter durch

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