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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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rascher lief,
traten kleine Schweißperlen auf ihre heiße Stirn. Ich bin krank, sagte sie sich
und stellte die Diagnose: akutes Liebesfieber, eine Art biologisch bedingte
Sucht, deren Krankheitserreger in den Linden, in der Luft oder in meinem
zügellosen Naturell liegen muß. Und alles wegen Nico, der in seine Linsen und
Blenden und in seine Wohlanständigkeit verliebt ist. Ich will eine Frau sein,
Nicos Frau!«
    Eine wilde Sehnsucht packte
sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich bin schlecht«, murmelte sie,
»ein haltloses, minderwertiges Geschöpf. Männer sind edler, charakterlich
besser. Sie haben Grundsätze und ganz bestimmte Pläne, nach denen sie handeln
und leben und sogar lieben.
    Nico? Soll ich auf ihn warten?
Unentschlossen wie er ist? »Nein«, sagte sie, »ich werde mein Leben ändern,
jetzt, in dieser Sekunde.« Und sie machte einen Anfang, indem sie in die
nächstbeste Bar ging, aus der Hitze und Musik auf die Straße quollen.
    Am Bartisch sah sie nur die
Rücken der Menschen und schloß aus ihrer Haltung, wie lange sie hier schon
saßen und wie tief sie versumpft waren. Alles, die Menschen, die Lichter und
die Stimmen, schwamm in einem bleigrauen Dunst von Zigarettenqualm.
    Goggi schritt entschlossen auf
den Bartisch zu und nahm auf dem einzigen noch freien Hocker Platz. Ein Mann
wandte sich ihr zu. Er schien vereinsamt und über ihr Kommen erfreut. Er hatte
ein Gesicht wie einer jener makellosen Äpfel, die auf Obstkarren immer vorn
liegen. Sein borstiges Haar war von einem unbestimmten Blond, die kugelrunden
Augen sahen Goggi ein wenig ungläubig an. Ich sehe zu solide aus, überlegte
sie. Das einzige Frivole an mir sind die roten Haare.
    Sie drehte dem Apfelgesicht den
Rücken zu und stemmte die Arme ungeniert auf den Bartisch, als sei sie zwischen
dreisten Männerblicken, Cocktailshakern, blauem Dunst und Saxophonen
aufgewachsen.
    Der Mixer stellte den Ohio, den
sie bestellt hatte, vor sie hin. Sie schluckte ihn wie Medizin. »Noch einen«,
sagte sie leichthin und schob das leere Glas über den Bartisch.
    Beim dritten Ohio wurde der
Mann mit dem Apfelgesicht unruhig. Er schien irgendeine Seelenrettungsaktion
vorzubereiten und arbeitete eine Einleitung aus. »Sie sollten eine Kleinigkeit
zu sich nehmen, es ist nicht gut für eine Frau, dieses scharfe Zeug auf
nüchternen Magen zu trinken«, sagte er in brillantem Schwyzerdütsch.
    Goggi fand, daß das
Apfelgesicht für diese banale Annäherung reichlich lange gebraucht hatte. Sie
sah mit ihren schmalen, grünen Augen durch den Mann hindurch wie durch einen
Plastikbeutel. Ohne ein Wort legte sie das Geld für ihre Getränke auf den
Bartisch, ratschte von ihrem Hocker und schritt mit merkwürdig steifen Knien
dem Ausgang zu.
    Die Nachtluft kühlte ihre heiße
Stirn, und Goggi merkte, daß ihre Füße andere Wege gingen als ihr Wille. Sie
machte sich klar, daß sie beschwipst war, und gab Nico die Schuld daran. So
weit hatte er es glücklich gebracht! Eine Trinkerin, die nachts schutzlos durch
die Gassen irrte! Feiner Kavalier, Vater ihrer zukünftigen Kinder, die nackt
herumlaufen sollten. Pfui!
    In einer schwach beleuchteten
Seitenstraße sah sie jemand aus einem parkenden Auto aussteigen und in
auffallender Eile entschwinden. Er hatte die Tür des Autos hinter sich offen
gelassen. Goggi kombinierte, daß hier irgend etwas faul sein müßte. Zwar) waren
ihre Beine wie aus Gummi, aber oben im Kopf funktionierten noch ein paar
Kontakte. Sie testete sich: »Ich heiße Georgine Gutting, bin einundzwanzig
Jahre alt und die Tochter von Ronald Gutting«, sagte sie vor sich hin.
    Diese Linden! Linden, Cocktails
nach Burgunder, Mond, Nico und kleine Nicos. Und ein Automarder, der in einer
schmalen, finsteren Gasse verschwand. Das war alles höchst romantisch. Nachdem
sie einen Augenblick stehengeblieben war, um die Situation überdenken zu
können, setzte sie sich wieder vorsichtig in Bewegung. Aber es war, als glitte
der Boden unter ihren Füßen weg, und sie schritte auf einem Rollteppich dahin.
Komisch. Sie breitete die Arme aus, da ging es etwas besser. Seiltänzerinnen
wußten schon, warum sie das taten.
    Als sie das Auto erreicht
hatte, stieß ihr Fuß an einen harten Gegenstand. Sie bückte sich, richtete sich
mühsam wieder auf und hielt eine Pistole in der Hand.
    Goggi kicherte. Merkwürdige
Welt. Da schritt man so nichtsahnend dahin und befand sich plötzlich mitten in
einem Verbrechen. Ob in dem Auto ein Toter lag? Die Mündung

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