Mann mit Anhang
in das
bekümmerte Gesicht ihrer Mutter. »Du hältst mich wohl für maßlos verkommen? Ich
trinke aber gar nicht viel, ich trinke nur das richtige zur richtigen Stunde.
Irgendeinen Aperitif brauchen wir doch, um das schwere Essen zu überstehen. Der
Wodka ist hier ausgezeichnet.«
Der Wodka stand schon da, ohne
daß Sheila ihn bestellt hatte. »Aha, du trinkst hier also immer Wodka«,
bemerkte Jeannette beunruhigt.
»Ja, immer. Aber nur ein ganz
kleines Glas vor dem Essen.«
Als sie einander zutranken,
tauchte hinter Sheila ein junger Mann auf und blickte auf den Scheitel ihres
hochgesteckten, schwarzen Haares. Sheila war sich seiner Gegenwart nicht
bewußt, aber Jeannette sah ihn in dem großen Spiegel, der die gegenüberliegende
Wand einnahm. Sie musterte ihn aufmerksam. Welche Mutter stellt sich nicht
jeden neu auftauchenden jungen Mann als den möglichen oder auch unmöglichen
Gatten ihrer Tochter vor?
»Weißt du, du könntest
eigentlich mit mir kommen, Mam«, meinte Sheila und wischte sich den Mund
unbekümmert mit dem Handrücken ab.
»Ja. Aber nicht nach Cannes
oder nach Nizza.«
Zu Jeannettes Verwunderung gab
Sheila nach kurzer Überlegung nach. Aber sie tat es in der
gutmütig-herablassenden Art der Stärkeren. »Okay, Mam, wenn du was Besseres
weißt. Ich lasse mit mir reden.«
Jeannette dachte nach. Der
junge Mann stand immer noch hinter Sheila. Er war groß und trug eine Brille. Er
lächelte zufrieden, während er Sheila stillschweigend beobachtete.
Sie sah ihre Mutter skeptisch
von der Seite an. »Sicher denkst du dir jetzt irgendein Kuhdorf aus, das
heilkräftig auf meine Seele wirken soll.«
»Ja, ein Kuhdorf. Irgendwo im
Tessin oder in Tirol. Kann auch die Provence sein.«
»Pardon, wenn ich mich dazu
äußere, aber ich halte das für eine verdammt gute Idee, was die Lady dir da vorschlägt«,
meldete sich der junge Mann unvermittelt.
Sheila fuhr auf. »John, bist du
denn immer noch da? Ich dachte, du wärst jetzt endlich in Schottland«, sagte
sie ungeduldig. »Mam, das ist John MacCrowley. Ich habe ihm schon hundertmal
die Pest an den Hals gewünscht, aber er ist unverwüstlich.«
Jeannette reichte ihm die Hand.
»Ich bin die Mutter dieser überaus liebenswürdigen Tochter«, sagte sie.
MacCrowleys Gesicht, das sich zu einem breiten Lachen verzog, gefiel ihr.
»Man sieht es, daß Sie die
Mutter sind«, sagte er. Er schien darauf zu warten, daß man ihn aufforderte, am
Tisch Platz zu nehmen, aber bevor Jeannette sich dazu aufgerafft hatte, war ihr
Sheila schon mit der Absage zuvorgekommen.
»Wir haben wichtige Dinge
miteinander zu besprechen, John, Familienangelegenheiten.«
MacCrowley zeigte keine
Enttäuschung. Er war auf diese Antwort gefaßt gewesen. »Ich setze mich nicht,
aber ich darf doch noch eine Minute hier herumstehen.« Er grinste. »So ganz
zwanglos.«
Sheila seufzte. »Ja, du bist
immer ganz zwanglos. Mach es dir bequem, tritt von einem Bein aufs andere,
damit dir keines einschläft.«
»Sheila!« mahnte Jeannette.
MacCrowleys Gesicht verlor sein
zuversichtliches Strahlen nicht. »Lassen Sie sie ihre Borsten lieber nach außen
kehren anstatt nach innen. Mir macht das nichts.«
»Es macht ihm wirklich nichts,
Mam, er ist ein Dickhäuter.«
MacCrowley beugte sich zu
Sheila hinunter, die Hand leicht auf ihre Schulter legend. »Wo ist Yvonne?«
»Yvonne ist ausgezogen.«
Er blickte Jeannette bewundernd
an. »Oh, Sie haben das gute Stück wohl in die Flucht gejagt? Mein Kompliment.«
»Geh! Du bist ekelhaft.« Der
Zorn verschönte Sheilas Gesicht, es hatte plötzlich Farbe bekommen, und
Jeannette bekam einen Vorgeschmack, wie ihre Tochter aussehen könnte, wenn sie
ein paar Wochen in einem Kuhdorf lebte.
MacCrowley beugte sich über
Jeannettes Hand. »Glücklich, Sie kennenzulernen, Mrs. — Mrs. —«
»Bonnard.«
»Mrs. Bonnard. Darf ich Ihnen
schreiben?«
Sheila funkelte die Mutter an.
»Ich warne dich, Mam, er schreibt Briefe über Briefe und hört so lange nicht
damit auf, bis er eine Antwort erhält. Ich sage dir ja, er ist lästig, er ist
die Pest.«
»Sie hat recht, Mrs. Bonnard.«
MacCrowley lachte selbstzufrieden.
Jeannette kritzelte ihre
Adresse auf ein herausgerissenes Blatl ihres Notizkalenders. Sie war diesen
saloppen Ton unter jungen Menschen gewohnt. »Hier«, sagte sie und reichte ihm
ihre Adresse.
Als John MacCrowley gegangen
war, goß sich Sheila ihr Glas ein zweitesmal voll und schüttete es in einem Zug
hinunter. Jeannette beobachtete
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