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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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war.
    Als Sheila quer durchs Zimmer
zum Duschraum ging, sah Jeannette, daß sie das Bein stärker nachzog, als ihr in
Erinnerung war. Das Herz wurde ihr schwer. »An Yvonne verlierst du keinen
wertvollen Menschen«, sagte sie.
    Das Wasser der Brause begann zu
plätschern. Sheila warf die Bürste hart auf das Steinpflaster. »Ich pfeife auf
die wertvollen Menschen. Ich will jemand, der mich versteht.«
    »Sie hat dich nie verstanden,
das bildest du dir nur ein. Sie ist nicht nur primitiv, sie ist richtiggehend
beschränkt. Ich wundere mich, daß du sie so lange ertrugst. Du bist doch sonst
so kritisch.«
    Sheila tat so, als hätte sie
gar nicht hingehört. Sie kam triefend naß zur offenen Tür und betrachtete ihre
Mutter. Dann ging sie unvermittelt zum Angriff über. »Warum bist du eigentlich
von München so Hals über Kopf weggeflogen?«
    »Ich wollte bei dir sein.«
    »Komisch, das fällt dich alle
paar Jahre mal wie ein Heufieber an. Und dein Traummann in München hat dich
ohne weiteres entwischen lassen?«
    »Welcher Traummann?«
    Sheila legte ihre nasse,
schmale Hand flüchtig auf Jeannettes Arm. »Du vergißt, daß wir zwei- oder
dreimal im Leben eine gute, vertrauliche Stunde miteinander hatten, Mam.«
    Jeannettes Herzschlag stockte.
Nur zwei- oder dreimal im Leben? Sie fühlte sich wie vor einem Richtertisch.
>Das ist eine schwere Anklage, die Ihre Tochter da erhebt, Mrs. Bonnard. Was
haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen —?<
    Sheila redete weiter und
verfiel in einen unverbindlichen Konversationston. »Ich lade dich zu einem
lukullischen Lunch ein, Mam, und dann reden wir weiter. Du mußt mir von deinem
Mann erzählen.«
    Wie das klingt! Aber Sheila war
nie dazu zu bewegen gewesen, von ihrem zweiten Stiefvater anders als von
Jeannettes Mann zu sprechen. »Du weißt, rund um den Erdball wird viel
geklatscht. Stimmt es, daß mit Henry Bonnard nichts mehr los ist?«
    Sie richtete den Blick auf
Jeannette wie auf eine zufällige Reisebekanntschaft, die sie nach der Zeit
gefragt hatte.
    »Henry ist in keiner sehr
glücklichen Verfassung, gesundheitlich, seelisch und leider auch finanziell.«
    »Da kommt ein bißchen viel
zusammen«, stellte Sheila sachlich fest. »Aber du siehst prächtig aus, Mam.
Hübsch! Du hältst dich wirklich großartig, für mich könntest du dreißig sein.«
    Jeannette begann, ihrer Tochter
den Rücken zu frottieren. »Hör mal zu, mein Kind, es gibt keinen Grund, warum
du noch länger in dieser elenden Bude bleiben solltest. Mach Schluß mit der
Boheme und zieh in ein ordentliches Hotel.«
    »Ich denke nicht daran.« Unten
rumpelte ein riesiger Lastwagen mit einem Anhänger vorbei und ließ die Gläser
und Teller klirren.
    »Und wenn ich darum bitte?«
    Sheila zog die breiten, dunklen
Brauen erstaunt hoch. »Ich bleibe ja überhaupt nicht in Paris«, kündigte sie
an, während sie in einem Berg von Nylonstrümpfen wühlte, zwei davon gegen das
Licht hielt und sie dann über ihre dünnen, langen Beine zog. »Ich werde nach
Cannes oder nach Nizza gehen.«
    »Ausgerechnet dorthin, wo sich
alle Angeber treffen. Ich hätte dich eigentlich für einfallsreicher gehalten.
Du willst dich wohl langweilen?«
    »Ja. Langweilen und unterhalten
ist in diesem Fall dasselbe, denn ich treffe dort einen Haufen Gleichgesinnter,
die sich ebenfalls langweilen.« Sheila, das schöne, blasse Gesicht mit den
tiefliegenden Augen dem Spiegel zugewandt, lächelte sich selbst zu. »Ich möchte
auch ein paar Runden im Casino spielen, ich habe nämlich ein unverschämtes
Glück am Roulettetisch. Soll ich mal für dich mitspielen, Mam?«
    »Nein, danke, ich habe kein
Geld zu verspielen, das besorgt Henry in ausreichendem Maße.« Sie half Sheila,
das taillenlose, gerade Kleid im Rücken zu schließen. »Findest du diese Säcke
eigentlich hübsch?«
    »Nein, abscheulich.« Sheila
schoß einen ihrer abwartenden Blicke unter den langen, seichgen Wimpern hervor,
aber Jeannette tat ihr nicht den Gefallen zu fragen, warum sie diese Mo e dann
mitmache. »Man gewöhnt sich daran.«
    Sie saßen in einem russischen
Restaurant in der Nähe von Saint-Germain-des-Prés. Sheila schien hier Stammgast
zu sein. Man kam ihr mit devoter Vertraulichkeit entgegen. Sheila nahm es
gelassen hin.
    Sie wählte mit Bedacht, ein
Mädchen, das seit Jahren in Restaurants aß und sich auf allen internationalen
Speisekarten auskannte. »Wir müssen einen Wodka trinken«, erklärte sie.
    »Jetzt? Um ein Uhr mittags?«
    Sheila sah belustigt

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