Mann mit Anhang
nicht viel
mehr.«
9
Nach zwei Tagen Aufenthalt
begann Ronald, die Stadt an der Seine systematisch durchzukämmen.
Er war nervös, ungeduldig und
enttäuscht, weil ihm Jeannette nicht schon am ersten Tag auf den Champs-Elysees
begegnet war und lächelnd die Arme ausgebreitet hatte: »Da bist du ja.«
Jawohl, da war er, aber niemand
breitete die Arme aus, niemand blickte sich auch nur nach ihm um. Er und Jacky
waren nichts weiter als zwei unauffällige Statisten im Pariser Straßenbild, ein
Mann und ein Hund. Plötzlich empfand Ronald Paris als eine lärmende und
rücksichtslose Stadt. Warum hatte er nicht Goggi und Nico mit hierher genommen?
Jacky meisterte die Situation
weitaus besser. In dem Hotel, in dem sein Herr wohnte, hatte er die
Bekanntschaft eines großen schwarzen Pudels gemacht, mit dem er im Hof des
Hotels morgens, mittags und abends zwei fette, graue Katzen jagte. Die Katzen
gehörten einem Fischhändler und wurden von diesem gemästet wie Hausschweine.
Sie zu jagen machte Spaß, denn man hatte da wirklich einen ordentlichen Brocken
vor der Nase. Der Pudel war ein älterer, äußerst amüsanter Herr, der sich in
der Welt und vor allen Dingen in der Rue Washington, in der das Hotel lag,
vorzüglich auskannte. Er führte Jacky bei Madame Cavassier ein, einer alten
Dame mit ungeheurem Keksbedarf, die seit Jahren im Hotel lebte. Madame
Cavassier konnte niemals >nein< sagen, wenn die Hunde schweifwedelnd bei
ihr erschienen. Obwohl Jacky von den Keksen in den ersten Tagen einen verkorksten
Magen hatte, sehnte er sich keine Minute nach München. Er liebte die fremden
Gerüche, die fremden Laute und die fremden, lärmenden Straßen. Dazu fand er das
breite Bett, an dessen Fußende er schlief, außergewöhnlich komfortabel. Diese
französischen Betten hatten es wirklich in sich. Paris, Paris!
Ronald dachte anders. Er fand
keinen Schlaf, wenn er spät nachts nach Hause kam. Das Bett war zu groß für
einen Mann, der es nur mit einem kleinen Hund teilte.
Tagsüber stürzte er sich mit
seinem großen Auto in den Verkehr und ließ sich von dem rasenden Strom durch
die Straßen reißen. Manchmal ging er auch zu Fuß oder benützte den Bus oder die
Metro. Seine Streifzüge führten ihn kreuz und quer durch die Stadt, durch
Cafés, Museen, Ausstellungen, Restaurants und Parks. Abends besuchte er die
Oper oder eines der zahlreichen Pariser Theater. Danach begab er sich mit Jacky
und zwei Aspirin gegen Kopfschmerzen in das Pariser Nachtleben, trank hier
einen Aperitif und dort ein Glas Tomatojuice und endete meist im Café Flore bei
einem Glas Bier, das er halb ausgetrunken stehen ließ.
Am fünften Tag der vergeblichen
Jagd auf Jeannette begann er, die Geschäfte, in denen Damen sich gern
aufhielten und Geld ausgaben, abzuklappern, elegante Salons, Hutläden und
Parfümerien. Manchmal öffnete er nur die Tür, warf einen Blick hinein und
kehrte wieder um, aber die unübersichtlichen Läden, die über mehrere Etagen
führten, durchsuchte er methodisch. Er ging die einzelnen Abteilungen durch,
ließ sich hier und dort von den liebenswürdigen Verkäuferinnen etwas vorlegen,
spielte den Wählerischen und verließ den Laden mit dem Gefühl, Jeannette um
Haaresbreite verpaßt zu haben. Womöglich hatte sie hinter dem Vorhang einer der
Probierkabinen gestanden, an denen er vorbeigegangen war. In solchen Momenten
kämpfte er mit dem tollkühnen Wunsch, umzukehren, von Kabine zu Kabine zu
gehen, den Vorhang zu lüften und die mangelhaft bekleideten Damen auf ihre
Identität mit Jeannette hin zu prüfen. Doch die Angst, daß man ihn in Fesseln
legen und als einen Irrsinnigen oder Wüstling abführen könnte, behielt die
Oberhand.
Seine Tournee durch die
modische Welt brachte es mit sich, daß er eine Anzahl auserwählt hübscher
Sachen für Goggi besorgte, Handschuhe in allen Variationen, daunenweiche
Seidenpantoffeln, ein Gedicht von Morgenrock, zwei federleichte Pullover und
drei verschiedene Parfüms. Um seine innere Niederlage zu tarnen, redete er sich
ein, daß er eigentlich nur um dieser Mitbringsel willen nach Paris gefahren
sei.
Jacky fand seinen Herrn in
diesen Tagen zugänglicher als je zuvor. Er redete viel mit ihm, zeigte
Verständnis für die zahllosen Stops an interessanten Straßenecken und Bäumen
und beschäftigte sich intensiv mit einer kleinen wunden Stelle zwischen Jackys
zweiter und dritter Zehe der linken Vorderpfote.
Ronald begann, seinen
seelischen Zustand zu zergliedern, und
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