Mann mit Anhang
zuhörte und wie sie seine Erzählung aufnahm.
Aber plötzlich schnellte Sheila hoch und sah ihn an. Zorn und Vorwurf sprühten
aus ihrem Blick. »Arme Mama. Wissen Sie überhaupt, was Sie mit Ihrer
sogenannten Ehrenhaftigkeit angerichtet haben? Man könnte das Grauen bekommen,
wenn man euch Männer so betrachtet. Ihr opfert unbedenklich die Liebe, wenn es
um eure Grundsätze geht.«
Ronald hatte diesen Ausbruch
nicht erwartet, er hatte eher gedacht, daß Sheila die Dinge, die so lang
zurücklagen, unberührt lassen würden, und nun stellte sie sich auf die Seite
ihrer Mutter, gegen die sie einen lebenslangen Groll gehegt hatte. »Sie kamen
sich womöglich noch großartig vor damals, als Sie Mama wegschickten«, sagte sie
lauernd.
Ronald hob die Schultern. »Ich
weiß nicht, wie ich mir vorkam, ich mußte so handeln.« Die Mittagssonne brannte
erbarmungslos, und der Strand leerte sich allmählich. »Essen Sie mit uns?«
fragte Ronald. »Juanita kocht märchenhaft. Sie muß es im Paradies gelernt
haben.«
Sheila sprang auf und fegte den
Sand von ihren Beinen. Ihr düsteres Gesicht erhellte sich. Sie schien plötzlich
an etwas sehr Komisches zu denken. »Dann ist bei Ihnen alles nur vorgetäuscht,
Ihr vorbildliches Familienleben und das ganze Drum und Dran.«
»Meinen Sie meinen kleinen
Enkel mit dem Drum und Dran?«
»Ja, den auch.« Sie maß ihn halb
ärgerlich, halb lachend. »Sie nachgemachter Großpapa.«
Ronald bekam Lust, sie zu
verhauen. Sie hatte ihn an seinem empfindlichsten Punkt getroffen.
Zwei junge, breit gebaute
Burschen kamen vorbei und warfen einen bewundernden Blick auf Sheila. Sie lächelte
unbewußt, und Ronald spürte einen feinen Schmerz, als hätte jemand seine Haut
geritzt.
Plötzlich hörte er rufen. Er
schirmte die Augen ab und blickte nach oben, von wo das Rufen kam. Zwei
Gestalten mit riesigen Hüten aus Reisstroh und gleichfarbigen zitronengelben
Kitteln kamen winkend angelaufen: Goggi und Nico. Na ja, da wäre also die liebe
Familie beisammen, bereichert durch die sehr sprunghafte und schwierige Sheila.
Goggi hing an seinem Hals, und
gleichzeitig umarmte ihn Nico. Ronald machte sich ganz steif. Er hatte sich
immer noch nicht an die italienische Sitte gewöhnt, daß Männer einander
umarmten und küßten. Er fing einen abwartenden Blick von Sheila auf.
»Das ist meine Tochter Goggi
und mein Schwiegersohn Nico Orlano«, sagte er, »und das ist Miß Sheila Macon.«
Er wartete, bis sie einander die Hand gereicht hatten, dann erst gab er weitere
Erklärungen ab. »Sheila ist Jeannettes Tochter. Wir haben uns zufällig gestern
nachmittag kennengelernt. Ist das nicht merkwürdig?«
Goggis Wiedersehensfreude war
durch nichts zu erschüttern. Sie sah prächtig aus, eine kraftvolle Schönheit
mit einer sehr fraulichen, sehr, sehr glücklichen Ausstrahlung. Sie betrachtete
Sheila mit freundlicher Neugier. »Ich bin glücklich, daß Papa Gesellschaft
gefunden hat. Er braucht immer jemand, den er bevatern kann. Es wird gar nicht
lange dauern, dann wird er Ihre Zigaretten rationieren. Ihr Gewicht
kontrollieren und dafür sorgen, daß Sie rechtzeitig zu Bett gehen.«
Sheila wurde von Goggis
Liebenswürdigkeit angesteckt. »Sie haben einen wunderbaren Sohn«, sagte sie.
»Kennen Sie ihn?«
»Ich habe ihn heute morgen aus
der Ferne betrachtet. Er war hier Mittelpunkt des Strandlebens.«
Nico legte den Arm tun Goggi.
»Ja, wir sind ein ganz gutes Elternteam. Wie geht es übrigens Ihrer Mutter?«
Eine kurze Pause entstand.
Sheila wartete, ob Ronald an ihrer Stelle antworten würde. Aber er schwieg.
»Nicht rosig«, sagte sie. »Ihr
Mann ist gestorben.«
Sekundenlang herrschte
Schweigen. Nur das leise Knirschen des Sandes war zu hören. Keiner der vier
Menschen fand das richtige Wort, um die spürbare Schärfe von Sheilas knapper
Mitteilung zu mildem.
Oben stand der weiße
Sportwagen. Sheila hatte ihn neben Ronalds Haus geparkt. Der staubige, rote
Wagen mit der Münchner Nummer nahm sich wie ein Kobold neben ihm aus.
Goggi und Nico begannen, von
ihren Erlebnissen und Plänen zu erzählen. Sie konnten nur zwei Tage bleiben,
dann mußten sie nach Malaga.
Ronald hörte nur mit halbem Ohr
zu. Er sah Juanita auf die Terrasse treten und den Tisch unter dem binsengeflochtenen
Dach decken, aber er sah es wie aus weiter Ferne. Es ging ihn eigentlich nichts
an, es war alles so belanglos im Vergleich zudem, was sich in ein paar tausend
Kilometer Entfernung abspielte. Jeannette war allein, sie sah
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