Mann mit Anhang
sich einem Chaos
von Schulden und Widerwärtigkeiten gegenüber, sie stand vor den Trümmern einer
dritten unglücklichen Ehe und kämpfte einen verzweifelten, einsamen Kampf gegen
die Hoffnungslosigkeit.
Während des Essens blieb er
wortkarg. Er konnte an nichts anderes denken als nur an Jeannette, die sich
ohne ihre Schuld eine Schlappe nach der anderen vom Leben holte. Schließlich
war auch das Verhältnis zu ihrer Tochter trotz ihrer Liebe zu Sheila nicht
gerade ein Erfolg zu nennen.
Nico hatte Sheila in ein
Gespräch über fortschrittliche Bildberichterstattung gezogen. Von Zeit zu Zeit
hob sie den Blick und ließ ihn mit einer Beharrlichkeit, die niemandem entgehen
konnte, auf Ronald ruhen.
Ronald reichte ihr die Schüssel
mit Reis. »Sie sollten mehr essen, Sheila. Nehmen Sie sich ein Beispiel an
meiner Tochter.« Goggi, die ihren Sohn auf dem Schoß hielt und sich von ihm
quälen ließ, zwinkerte mit den Augen. »Hat gute Gründe, Papa.«
Ronald vergaß, das Glas, das er
in der Hand hielt, zum Mund zu führen. Er warf einen fragenden Blick auf seinen
Schwiegersohn. Schon wieder was im Kommen?
Nico wölbte die Brust, während
er Juanitas wunderbare Fischspeise hinter seinen blitzenden Zähnen verschwinden
ließ. Wir Orlanos! Starke, tüchtige Männer, Gründer kinderreicher Familien!
Ronald blickte sich in der
Tafelrunde um. Nächstes Jahr würde noch so ein kleiner, zappelnder Orlano da
sitzen, übernächstes Jahr vielleicht ein dritter und wohl keineswegs der
letzte. Man sollte wohl zum Ausziehtisch aus der guten, alten Zeit
zurückgreifen, um dem Familienzuwachs mühelos nachzukommen.
Er trank das Glas, das er noch
in der Hand hielt, in einem Zug leer. Weniger trinken, weniger rauchen, mäßig
essen, viel spazierengehen, Aufregungen vermeiden, dann wirst du in voller
Frische die entsprechenden Urgroßvaterfreuden erleben, sagte er sich.
Sheilas Blick hing nachdenklich
an ihm. »Denken Sie auch daran, daß wir heute für den Ifach verabredet sind?
Bergtouren erhalten jung«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Goggi warf das rote Haar aus
der Stirn. »Oh, ihr macht eine Bergtour.«
Sheila nickte.
»Mondscheinversprechungen von gestern abend.« Sie hatte sich diese kleine
Bosheit nicht verkneifen können und beobachtete die Wirkung!
Goggi versuchte, sich ihr
Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Was für Sachen trieb Papa denn da? Das
waren ja die reinsten Ausschweifungen. »Ist das wahr?«
»Natürlich ist es wahr.« Ronald
machte eine unwillige Bewegung, als er alle Augen wie auf Kommando auf sich
gerichtet sah. »Damen sagen nie die Unwahrheit«, fügte er hinzu. Weitere
Erklärungen schienen ihm unnötig. Sein Inneres war schließlich kein Bilderbuch,
in dem Goggi nach Herzenslust blättern konnte.
Juanita hatte den Korb mit den
frischen Trauben auf den Tisch gestellt. Ronald griff nach einer Frucht. »Nehmt
ihr mich mit, wenn ihr auf den Ifach steigt?« sagte Nico. »Man muß von dort
oben herrliche Aufnahmen machen können.«
In dieser Sekunde geschah etwas
Merkwürdiges. Die Feder, die aus Ronalds Leben ein Uhrwerk zuverlässigen Vater-
und Großvatertums gemacht hatte, brach jäh entzwei, und das ganze Räderwerk von
Verantwortung, Pflichterfüllung und Selbstlosigkeit blieb stehen. Ein kleiner
Knacks nur, niemand hatte ihn gehört. Ronald selbst war sich noch nicht klar
über die Ausmaße dieses Geschehens, die bei ihm eine große Unordnung
anrichteten und gleichzeitig eine ganz neue Ordnung schaffen sollten.
»Ich muß meine Verabredung mit
Sheila verschieben. Ich fliege nach Rio«, hörte er sich sagen.
»Wie bitte?« Zwei oder drei
Stimmen fragten es gleichzeitig.
»Ich fliege nach Rio«, erklärte
Ronald und überreichte Jacky die Traube, um die er gebeten hatte. »Ich werde
mal schnell telefonieren und mich nach der schnellsten Flugverbindung
erkundigen.«
In den Sekunden des erstarrten
Schweigens, die dieser Erklärung folgten, genoß er das Gefühl, endlich einmal
so zu handeln, wie ihm zumute war, unbekümmert um die Meinung anderer,
unbekümmert auch um sein Alter, um seine Firma, um alles, was er hier
zurückließ, seinen Enkel, seinen Hund, seinen Wagen und seinen Ruf als
vernünftiger, überlegter Mann.
Goggi starrte ihn an, als sei
plötzlich eine Bewußtseinsspaltung bei ihm eingetreten. Er las ihre Gedanken
und nickte ihr freundlich zu. »Ich brauche keinen Klapsdoktor. Alles, was ich
brauche, sind zwei saubere Hemden, eine Zahnbürste, ein Kamm,
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