Mann mit Anhang
mein
Rasierapparat und mein Pyjama. Und das habe ich alles ganz schön beisammen.
Auch meine fünf Sinne. Sei unbesorgt. Ich habe sogar ein Visum.«
Hinter Angelikas Stirn
arbeitete es. Sie bewegte die Finger ihrer beiden Hände. Offenbar rechnete sie
die Kilometer aus, die Rio von dem kleinen Haus an der spanischen Südküste
trennten. Gutting würde sie doch nicht einfach hier allein lassen? »Was soll
denn mit dem Kleinen und mir geschehen, wenn Frau Orlano übermorgen wieder
abreist?« fragte sie.
Nico nickte.
»Ja, was soll geschehen? Du
bist wirklich genial, Papa.« Es klang ein wenig gereizt.
»Genial, jawohl, da hast du
recht.« Ronald sprach, ohne irgend jemand anzusehen. »Bis heute wußtet ihr gar
nicht, was für einen genialen Mann ihr in eurer Mitte habt. Ich habe mein Licht
viel zu lange unter den Scheffel gestellt.«
Goggi spielte nervös mit der
Serviette. »Du kannst doch nicht einfach hier abreisen.«
»Vergiß nicht, daß Goggi und
ich schließlich beruflich hier sind und übermorgen wieder los müssen.«
»Sollen wir Nico Zwo vielleicht
in unseren Gepäckraum packen? Zu den Blitzlichtern?«
»Ja, Goggi hat recht. Sie muß
sich sowieso schonen in ihrem Zustand.«
Ronald lag eine Erwiderung, die
sich mit der Verantwortung für diesen Zustand befaßte, auf der Zunge. Aber er
schluckte sie hinunter. Das Kreuzfeuer sollte sich ruhig erst austoben.
Angelika ließ den sanften Blick
ihrer Augen vorwurfsvoll auf seiner Stirn ruhen, hinter der so
unverantwortliche Entschlüsse gefaßt worden waren. »Sie wissen doch, Herr
Gutting, ich kann mich mit Juanita überhaupt nicht verständigen. Ich verstehe
nicht eine einzige Silbe Spanisch.«
Alle redeten durcheinander.
Nur Juanita, die das Geschirr
abräumte, war von der Aufregung ungerührt. Sie umschritt den Tisch in ihrer
feierlichen, antiken Würde und hielt sich so gerade, als trüge sie auf dem Kopf
den tönernen Krug mit Wasser.
Auch Sheila schwieg. Sie saß
mit den zusammengekniffenen Augen einer sprungbereiten Katze da und nagte an
ihren Lippen. Ronald spürte, daß sie ihre Zeit abwartete.
Er kämpfte gegen ein
unbehagliches Gefühl an. »Wozu dieser Aufruhr? Es wird sich alles regeln.« Er
gebrauchte jene dröhnende Stimme, mit der er sich seinen geschäftlichen Kontrahenten
gegenüber durchzusetzen pflegte. Allmählich bekam er Lust am Kampf und freute
sich über sein schallendes Organ. »Ich werde meine Dispositionen so treffen,
daß sich keiner von euch zu beklagen hat.« Es klang wie ein unumstößlicher
Erlaß.
Sheila nutzte die kurze Pause,
die folgte, dazu aus, ihren Pfeil abzuschießen. »Ich glaube, daß Sie Mama gar
keinen Gefallen tun, wenn Sie plötzlich in Rio auf tauchen.«
»So?«
»Ich bin nämlich auf dieselbe
Idee gekommen, aber sie lehnte meinen Besuch strikt ab.«
»Sie will wahrscheinlich nicht,
daß Sie Ihre schönen Ferien hier unterbrechen.«
»Mama weiß ganz genau, daß ich
das ganze Jahr Ferien habe. Das ist es nicht. Aber sie will niemanden sehen,
hat sie gesagt. Betonung auf niemand.« Sie zerbiß eine dunkelblaue Traube
zwischen ihren Zähnen. »Ich nehme an, daß das auch Sie einschließt. Ich habe
ihr nämlich von unserer Begegnung erzählt.«
»Ach?«
»Sie fand das sehr merkwürdig,
sie wollte es gar nicht glauben.«
»Haben Sie ihr auch erzählt,
daß ich zuvor einem außerordentlich sympathischen jungen Mann begegnet bin?
MacCrowley?«
»Nein, das vergaß ich zu
erwähnen. Ich hielt es nicht für so wichtig.«
Die anderen warteten den
Zweikampf ab, der hier ausgefochten wurde. Ronald registrierte die Spannung,
verdichtet durch die bewegungslose Hitze, die über dem Haus brütete. Er suchte
zu ergründen, auf welcher Seite das Publikum stand, und schickte flüchtige
Blicke ringsum. Auf den Gesichtern der vier jungen Menschen dominierte derselbe
Ausdruck: Erstaunen, ein wenig Nachsicht, ein wenig Mißfallen. Sie sahen aus
wie Geschworene, die über die merkwürdigen Launen eines nicht ganz
zurechnungsfähigen Menschen zu urteilen hatten und milde Richter sein wollten.
Er zuckte die Schultern.
»Wissen Sie, Sheila, es ist ziemlich belanglos, ob sich Ihre Mutter über mein
Kommen freut oder nicht. Die Hauptsache ist, daß ich komme und ihr zur Seite
stehe. Ich kann mir denken, daß sie sich gewissen Schwierigkeiten
gegenübersieht, mit denen eine Frau allein nicht so leicht fertig wird.«
Sheila gab nicht auf.
Eifersucht? Zerstörungswut? Haßliebe einer Mutter gegenüber, die sie
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