Mann mit Anhang
nacht.«
»Wer? Doch nicht Henry
Bonnard?«
»Doch«, sagte sie mit einem
trotzigen Zucken um die Lippen. »Er war nicht jedermanns Geschmack, besonders
in seinem letzten Stadium. Ich wäre wahrscheinlich zur Giftmörderin an ihm
geworden, aber Mama hat tapfer bei ihm ausgehalten, das muß man ihr lassen. Es
war ein Martyrium.«
Ronald wischte sich das feuchte
Haar aus der Stirn. Er erinnerte sich an das, was Jeannette ihm von ihrem Mann
erzählt hatte.
»Wie haben Sie es erfahren? Ach
ja, da war ein Telegramm für Sie da gestern nacht.«
»Ja. Und außerdem habe ich mit
Mama heute morgen telefoniert. Mama hätte es von sich aus sicher nicht getan.
Jetzt nicht mehr, nach all dem, was sich nach Henrys Tod herausgestellt hat.«
Ronald kam sich wie ein
Zuschauer in einem sehr erregenden und fremdartigen Theaterstück vor. Sheilas
Mitteilung hatte einen Sturm in seinem Inneren entfacht, Empfindungen, die er
nicht zu steuern vermochte.
Sheila genoß mit der
Sensationslust der Jugend die Wirkung ihrer Mitteilung. Sie musterte Ronald aus
halbgeschlossenen Augen. Ronald fragte verwirrt: »Warum hätte Ihre Mutter nicht
angerufen? Was hat das mit Bonnards Tod zu tun?«
»Sehr viel. Mama muß sparen.
Jeden Pfennig. Henry Bonnard schloß die Augen, und in der nächsten Sekunde
fielen die Gläubiger wie die Aasgeier über Mama her. Bonnard hinterläßt enorme
Schulden. Wenn das Haus und die Kunstgegenstände, soweit sie noch nicht verpfändet
sind, verkauft sind, werden die Schulden knapp gedeckt sein. Mama steht
praktisch mittellos da.«
Wie sie das sagte! Mit einer
freundlichen Ruhe. Sie klagte nicht über Jeannettes Schicksal, sie kommentierte
es nur. »Ich habe ihr angeboten, ihr auszuhelfen, aber natürlich lehnt sie es
ab. Sie ist zu stolz und zu eigenwillig dazu. So war es immer.«
Ronald vergaß zu antworten.
»Wo waren Sie gestern abend?
Haben Sie noch lang auf mich gewartet?« fragte Sheila.
»Bis nach Mitternacht«,
erwiderte er aus seinen Gedanken auffahrend, »wir sind uns mit unseren Wagen
auf der Straße begegnet, aber Sie haben es sicher nicht bemerkt.«
»Nein.« Sie warf sich herum und
sprach gegen das Meer.
»Aber ich habe bemerkt, daß Sie
irgendwie nicht ganz spuren. Jeder andere Mann an Ihrer Stelle hätte versucht,
mich herumzukriegen. Und es wäre bestimmt kein hartes Stück Arbeit gewesen.«
»Sie sagen schreckliche Dinge
am frühen Vormittag. Warum eigentlich?«
»Ich will Sie testen.«
»Ihr Amerikaner seid ganz
verrückt mit eurem Testwahnsinn. Sparen Sie sich doch die Umwege, und fragen
Sie mich direkt, Sheila. Ich bin kein Verführer, ich bin ein bürgerlicher Typ.
Schrecklich solide, spießig, verantwortungsvoll und sentimental.« Er spielte
mit der gelben Gummiente. »Ein ausgeleierter Großpapa.«
Sie rückte näher zu ihm heran.
»Sie wollen mir nur entkommen«, sagte sie rasch. Sie sprach mit einer hohen,
sehr flachen Stimme, als schlösse sich ein Ring um ihre Kehle. »Warum wollen
Sie mit mir nichts zu tun haben?«
Zu tun haben, mein Gott, wie das
klang! Dabei war sie unberührt. Er hatte es mit jeder Fiber seiner Haut
gespürt, als er sie gestern getragen hatte.
Ihr Atem streifte ihn, als sie
sich mit einem halbwissenden Lächeln gegen seine Brust lehnte, und er roch den
Alkohol. Whisky. Die Stunde war zu früh für Whisky. Wieviel mochte sie
getrunken haben? Viele junge Mädchen in den amerikanischen Colleges gewöhnen
sich rasch an die harten, starken Männergetränke. Manche überstehen es gut, für
manche bedeutet es eine Gefahr.
»Was haben Sie eigentlich gegen
MacCrowley?« fragte er, um sie zu ernüchtern. »Sie sollten ihn heiraten und in
den ersten fünf Jahren jedes Jahr ein Kind bekommen.«
Sheila machte mit der Hand, die
die Zigarette hielt, eine wegwerfende Handbewegung. »Heiraten? Glauben Sie vielleicht,
daß die drei unglücklichen Ehen meiner Mutter umsonst gewesen sein sollen? Ich
habe meine Studien gemacht.«
Es entstand eine Pause. Ronald
rang mit einem Entschluß. »Ich werde Ihnen jetzt mal was erzählen, was ganz
wenige Menschen wissen, nicht einmal meine Tochter. Vielleicht sehen Sie die
verfehlten Ehen Ihrer Mutter mit anderen Augen an, wenn Sie Jeannettes
Geschichte kennen. Jeannette war, als ich ihr zum erstenmal begegnete, ungefähr
so alt wie Sie. Schwer vorzustellen für ein junges Ding, ich weiß.«
Während er erzählte, lag sie
mit geschlossenen Augen da. Ihr Gesicht blieb unbewegt, und Ronald war sich
nicht sicher, ob sie überhaupt
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