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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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alt ist er denn?«, fragte Anne.
    Kohn schwieg, dann sagte er: »Vierzehn, nein, erst dreizehn Jahre.«
    »Der Sohn Ihrer Tochter oder Ihres Sohns?«
    »Gehen Sie jetzt bitte«, sagte Kohn.
    Stachelmann zögerte, dann erhob er sich.
    »Wann dürfen wir mit dem Formular wiederkommen?«, fragte Anne.
    »Gehen Sie, kommen Sie nicht wieder.«
    Stachelmann schaute ihn verwirrt an.
    »Gehen Sie!« Kohns Stimme zitterte unter der Anstrengung, sich zu beherrschen.
    Auf dem Bürgersteig blieb Anne stehen und schüttelte den Kopf. »Sachen gibt es, die gibt es nicht«, sagte sie.
    »Hast du seine Augen gesehen?«
    »Nein, ja, natürlich. Was soll die Frage?«
    Stachelmann schaute aus dem Augenwinkel zurück zum Haus, nahm sie am Oberarm und zog sie weiter. »Er steht am Fenster und beobachtet uns.« Als sie um die Ecke gebogen waren, sagte er: »Da gab es einen Moment, da hatte er die Augen eines Irren, eines Amokläufers.«
    »Ach, hast du da Vergleichsstudien gemacht? Wie sehen die denn aus, die Augen eines Amokläufers? Und den Schaum vorm Mund habe ich bestimmt auch übersehen.«
    Stachelmann fühlte Ärger in sich wachsen. »Glaub mir, der ist wahnsinnig. Der hat einen Hass …«
    »Das ist ein verbitterter alter Knacker, nicht mehr und nicht weniger. Er schiebt einen Hass auf die Leute, die seine Familie ausgeplündert und umgebracht haben. Er möchte nicht erinnert werden daran. Wir haben ihn erinnert. Das ist alles. In deinen Augen ist der arme Kerl ein Massenmörder, weil er sich aufregt. Es genügt viel weniger, um sich tierisch aufzuregen. Herrn Doktor Stachelmann, dem Menschenkenner, genügt ein Blick, und der löst alle Hamburger Mordfälle der letzten fünf Jahre. Josef, bleib auf dem Teppich. Lad mich lieber zum Essen ein, hier um die Ecke gibt es einen Vietnamesen.«
    »Nein«, sagte Stachelmann. »Ich werde jetzt hier warten und gucken, was Kohn nun macht. Vielleicht geht er irgendwohin, wo sich was Interessantes findet.«
    »Du spinnst«, sagte sie. »Ich gehe jetzt nach Hause und mach mir was zu essen. Ich lege dir einen Schlüssel unter die Fußmatte, falls du später kommst. Und weil du so schrecklich leidend bist, darfst du neben mir in meinem Bettchen schlafen. Aber nur, wenn du brav bist.« Sie drehte sich um und ging.
    Stachelmann lehnte sich an einen Baum. Hier konnte er Kohns Haustür überwachen, ohne gleich gesehen zu werden. Da fiel ihm etwas ein. Er wählte auf seinem Handy die Nummer der Vermittlung und bat um eine Verbindung mit der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Er erkannte die Stimme der Dame gleich wieder. »Entschuldigen Sie, wann ist Frau Kohn gestorben?«
    »Sie meinen die Frau von Leopold Kohn?«
    »Ja.«
    »Er hatte keine. Jedenfalls wissen wir nichts davon.« »Und wo leben seine Kinder?« »Sagen Sie, Sie stellen ja komische Fragen.« »Herr Kohn hat da etwas angedeutet, ich wollte ihm nicht zu nahe treten, Sie verstehen …«
    »Er hat keine Kinder, soweit wir es wissen. Aber fragen Sie ihn doch selbst.«
    Stachelmann legte auf. Das war kein Beweis, aber es riss ein kleines Loch in den Nebel. Für wen war das Modellauto? Das Stehen bekam ihm nicht, die Gelenke in Rücken, Hüfte und Beinen schmerzten. Er trippelte auf der Stelle, es milderte den Schmerz nicht. Ein Lieferwagen kam aus der Hansastraße, er zog eine dunkle Dieselwolke hinter sich her. Er nahm einem Radfahrer die Vorfahrt. Der Radfahrer schimpfte und drohte mit der Hand. Der Fahrer des Lieferwagens winkte ab. Eine alte Frau quälte sich an zwei Stöcken auf dem Bürgersteig, in der einen Hand trug sie auch noch eine Tasche. Alle paar Schritte blieb sie stehen. Obwohl sie auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig stand, konnte Stachelmann sie schnaufen sehen. Er fragte sich, wie oft sie hier entlangging. Eine Horde Kinder zog kreischend an Stachelmann vorbei. Seine Augen fingen gelbe Schleifen um Zöpfe ein. Er schaute den Kindern nach. Man müsste immer so jung bleiben. Da war nichts Schweres. Er erinnerte sich an seine Studienzeit. Mehrfach hatte er kurz davor gestanden aufzugeben. Es erschien ihm als eine endlose Qual, nicht die Geschichte, aber das Germanistikstudium, das ihm die Prüfungsordnung aufzwang. Geschichte allein durfte man nicht studieren, jedenfalls nicht in seiner Zeit und nicht in Heidelberg. Aber Ossi war es noch schwerer gefallen. Er wollte in der Politik immer vorne stehen, ließ keine Demonstration und keine Versammlung aus. Und Stachelmann sollte immer mitkommen, zu selten gelang es ihm, sich

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