Mann Ohne Makel
leichte, konturlose Vertiefungen im Boden gefunden. Der ist dort fast überall weich und elastisch, das macht die Sache nicht einfacher. Wir glauben, dass der Täter sich Plastiktüten oder Ähnliches um die Schuhe gewickelt hat. Vielleicht auch Fahrradgamaschen. Aber in Wahrheit wissen wir nicht einmal, ob diese Bodeneindrücke etwas mit dem Mord zu tun haben. Das spielt auch keine Rolle, wir können sowieso nichts mit ihnen anfangen.« Der Polizeipräsident schnaubte. »Wir haben die Datenbanken von LKA und BKA durchsucht, aber keine ähnlich gelagerten Fälle gefunden. Natürlich haben wir die Familie des Opfers überprüft, der Ehemann hat ein Alibi, ein Abendessen mit dem Bürgermeister, und die Kinder kommen nicht in Frage.«
Der Präsident legte seine Stirn in Falten. Vielleicht ergrimmte es ihn, Holler als möglichen Verdächtigen genannt zu hören. Vielleicht war es eine Warnung, ihn nicht für blöd zu halten. Er hatte eine Verwaltungslaufbahn hinter sich und noch nie eine Leiche am Tatort gesehen. Er spürte die Geringschätzung, die ihm die Kriminalbeamten entgegenbrachten.
»Wir haben Hollers Villa auf den Kopf gestellt, um irgendeinen Hinweis auf die Tat zu finden. Nichts.«
Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf.
Ossi erschrak, als er bemerkte, dass seine Finger einen Takt auf die Tischplatte schlugen. Er schob seine Hand unter den Tisch. Ihn nervte dieses Wiederkäuen ihrer dürftigen Ermittlungsergebnisse. Sie waren blamabel, da hatte der Präsident Recht. Aber es brachte sie nicht weiter, es wieder und wieder festzustellen. Unten, auf seinem Schreibtisch im ersten Stock, wartete Arbeit auf ihn, und hier oben wurde geschwätzt. Taut musste es genauso gehen wie ihm. Seine Stimme klang fast schon monoton. So klang sie immer, wenn der Leiter der Rufbereitschaft 3 sich ärgerte.
»Sebastian Holler starb am 3. September 2000, ziemlich genau um 16 Uhr 30 im Aschbergbad im Rückersweg. Er saß am Beckenrand und schaute wohl zu, wie Kinder die lange Rutsche runtergesaust sind. Er trank einen Schluck Cola und fiel ins Wasser. Der Bademeister war schnell zur Stelle, konnte aber nichts machen. Er dachte, der Junge sei ertrunken. Er alarmierte sofort den Rettungswagen und versuchte den Jungen wieder zu beleben, was natürlich nicht gelang. Als der Notarzt eintraf, war der Junge längst tot. Zyankali wirkt gründlich.«
Der Präsident sah Taut fragend an.
»Die Sanitäter informierten das zuständige Kommissariat, die Kollegen waren nach ein paar Minuten am Tatort. Spurensicherung und Gerichtsmediziner kamen nicht viel später. Die Kollegen begannen sofort, Zeugen zu suchen und zu befragen. Wir haben eine lange Namenliste in den Akten. Niemandem ist etwas aufgefallen. Die meisten haben nicht einmal bemerkt, dass im Schwimmbecken ein Kind starb.«
Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf.
Natürlich, dachte Ossi, der würde immer und überall merken, wenn etwas passiert. Und wie Superman retten, was zu retten ist.
»Das letzte Opfer, Valentina Holler, wurde am 7. Juli vom Kindermädchen tot im Garten gefunden. Die Autopsie ergab, dass das Kind ein Karamellbonbon gegessen hat, in das jemand Zyankali gefüllt hatte. Das Bonbonpapier lag neben dem toten Mädchen, in der Nähe der Hecke, die das Grundstück von der Straße trennt. Wir nehmen an, das Mädchen hat das Bonbon auf dem Rasen liegen sehen, es genommen, ausgepackt und gegessen. Und das innerhalb von etwa zwei Minuten. Der Tod trat gegen 17 Uhr 13 ein. Die Zeit lässt sich recht genau eingrenzen, weil das Kindermädchen ins Haus ging, um die Toilette aufzusuchen …«
Ossi grinste innerlich wegen der gestelzten Wortwahl Tauts. Das Kindermädchen ist pinkeln gegangen, hätte Taut unter Kollegen gesagt. Er hatte die Kleine vernommen. Sie war gerade neunzehn Jahre alt. Sie gab sich die Schuld. »Wenn ich Tina mit ins Haus genommen hätte, dann wäre ihr nichts geschehen«, schluchzte sie. Niemand, nicht einmal Holler, warf ihr etwas vor. Das Kindermädchen hatte sich rührend um die Kleine gekümmert. Wie oft war Valentina allein im Garten gewesen! Dort konnte ihr nichts geschehen, sie war ja kein Säugling mehr. Nein, Schuld trug allein derjenige, der Zyankali in ein Karamellbonbon gespritzt und es in den Garten geworfen hatte. Wahrscheinlich würde das Kindermädchen lebenslang leiden, weil es im falschen Augenblick aufs Klo musste.
Nachdem der Präsident sie zu »verstärkten Anstrengungen« aufgefordert hatte – »Es geht um die Ehre der
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