Mann Ohne Makel
sachlich und freundlich, distanziert. Sie strahlte ihn an. Er sagte ihr, sie möge künftig weniger auf die Mehrheitsmeinung der Historiker achten und sich stattdessen mehr um die Quellen kümmern. Sie nickte eifrig. Als es nichts mehr zu erläutern gab, sagte Stachelmann: »Ich freue mich, dass Sie meine Kritik annehmen«, und stand auf, um sie zu verabschieden.
Sie erhob sich gleichfalls und hielt ihm ihre Hand hin. Dann zog sie sie zurück und sagte: »Herr Stachelmann, noch eine Frage.«
»Ja?«
»Darf ich Sie auf eine Tasse Kaffee einladen? Ich kenne da ein nettes Café, nicht weit von hier, Richtung Klosterstern.«
»Warum?«, fragte Stachelmann. Er fühlte sich unwohl. Warum musste er fragen, statt einfach Nein zu sagen?
»Muss man für alles alle Gründe kennen? Ich fände es einfach nett. Und wenn Sie es auch nett fänden, würde es doch erst einmal reichen für einen Kaffee.« Ihr Lachen lockte und stieß ihn ab.
Stachelmann reichte ihr noch einmal seine Hand und sagte: »Es geht nicht. Tut mir Leid.«
»Ach, Sie haben keine Zeit. Das macht doch nichts. Wir können es ja nachholen.« Sie sagte es mit einem Lächeln, das einigen Männern Unruhe bereitet hätte, drehte sich um und verließ federnden Schritts Stachelmanns Arbeitszimmer.
Er saß noch eine Weile auf seinem Schreibtischstuhl und ärgerte sich über sich selbst. Warum hatte er nicht Klartext gesprochen? Warum druckste er herum, wann immer er sich bedrängt fühlte? Warum konnte er in solchen Situationen nicht einfach Nein sagen?
Das Telefon klingelte, Bohming war dran. »Sagen Sie, Herr Stachelmann, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich in meinem Zimmer zu besuchen?«
»Gerne«, sagte Stachelmann. »Wann?«
»Sagen wir, in einer Viertelstunde?« Bohming sprach wie immer etwas zu laut.
»Ich komme dann«, sagte Stachelmann und schaute auf die Uhr. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Bohming liebte es, Besprechungen auszudehnen. Er erzählte und erzählte über sich und seine Taten. Dabei war er, so hatten Kollegen Stachelmann auf einem Historikerkongress gesteckt, nicht immer so ein Held gewesen. Einen schüchternen Aktentaschenträger habe der Sagenhafte früher gegeben, als er in Berlin an der Freien Universität Assistent eines Profs gewesen sei, der so unbedeutend war, dass sich keiner mehr an seinen Namen erinnern konnte. Kein Wort habe Bohming gesagt, und wenn doch, dann habe er leise gesprochen, damit ihn bloß keiner verstünde. Aber das Wissen um die keineswegs rühmliche Vergangenheit des Chefs half Stachelmann nicht weiter. Was wollte Bohming von ihm? Ging es um seine Habil? Stachelmann spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. Er sah seine Hände zittern. Wann würde seine Angst ein Ende haben? Und hoffentlich war Bohming fertig, wenn seine Verabredung mit Anne anstand.
***
Ossi dachte an sein Gespräch mit Stachelmann über den Fall Holler, als der Polizeipräsident den Konferenzraum im dritten Stock des Polizeipräsidiums betrat. In seinem Gefolge Kriminalrat Schmidt, Leiter der Mordkommission, und ein unscheinbarer Assistent. Der Präsident setzte sich an die Stirn des Tischs, um den die Mitarbeiter der Rufbereitschaft 3 der Mordkommission versammelt waren. Der Assistent reichte dem Präsidenten einen Aktenkoffer, braunes Leder, silberner Beschlag. Der Präsident öffnete den Koffer und entnahm ihm einen Notizblock und einen schweren schwarzen Füller, dessen Feder im Licht der Neonröhren aufblitzte. Er schrieb etwas in den Block, dann hob er seinen Kopf und blickte streng in die Runde.
»Meine Herren«, sagte der Präsident. »Meine Dame und meine Herren«, berichtigte er sich und nickte Kommissarin Kreimeier zu. Mit kalter Stimme begründete der Präsident, warum er sie an diesem Nachmittag zusammengerufen hatte. Er sei sicher, sagte er, alle täten ihr Bestes, um den Fall Holler aufzuklären. Trotzdem gehe es nicht voran. »Das ist ein unannehmbarer Zustand.«Er verwies auf die Unruhe in der Stadt. Drei Mitglieder einer ehrenwerten Hamburger Familie seien Opfer eines oder mehrerer Mörder geworden, und die Polizei habe nichts vorzuweisen. Die Presse überschlage sich, Vorwürfe gegen die Polizei und den Innensenator würden laut. Ja, sogar er selbst sei heute Morgen im Hamburger Abendblatt angegriffen worden. Untätigkeit lege man ihm zur Last, dabei könne er auch nicht mehr tun, als seine besten Leute von allen anderen Fällen abzuziehen und auf diesen einen anzusetzen. Aber seine besten Leute seien offenbar
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